Europarat : Ausschluss mit sofortiger Wirkung
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Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 14. März 2022 nach einer Schweigeminute für die Opfer der russischen Invasion in der Ukraine. Bild: dpa
Der Internationale Gerichtshof hat Russland aufgefordert, den Krieg sofort zu beenden. Und das Ministerkomitee hat Moskau aus dem Europarat ausgeschlossen. Ob das russische Moratorium für die Todesstrafe nun länger Bestand haben wird, ist ungewiss.
Russland ist nicht länger Mitglied des Europarats. Das Ministerkomitee der Organisation entschied am Mittwochmorgen in Straßburg, die Mitgliedschaft nach 26 Jahren mit sofortiger Wirkung zu beenden und das Land auszuschließen. Schon am 25. Februar, dem Tag nach Russlands Überfall auf die Ukraine, hatte das Entscheidungsorgan des Europarats, dem die Außenminister jedes Mitgliedsstaats oder ihre ständigen diplomatischen Vertreter angehören, Russlands Mitgliedschaft in den Gremien der Organisation ausgesetzt und dabei auch auf Moskaus Anerkennung der „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine als „Staaten“ hingewiesen.
Am Dienstag dieser Woche hatte dann die Parlamentarische Versammlung des Europarats einstimmig dafür gestimmt, dass Russland nicht länger Mitglied der Organisation sein könne; dabei hoben die Abgeordneten hervor, Russland habe seine „militärischen Aktivitäten gegen die Ukraine auf ein beispielloses Niveau gesteigert“, sei für Tausende getötete Zivilisten, Millionen Vertriebene und Zerstörungen im Land verantwortlich.
Eine letzte, bittere Kritik
Aus Moskau kam ebenfalls am Dienstag eine wohl letzte, bittere Kritik am Europarat: Das Außenministerium teilte mit, man habe der Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejčinović Burić, angezeigt, dass man die Organisation verlassen werde, und warf „Staaten der NATO und der EU“ vor, „ihre Mehrheit im Europarat konsequent missbraucht und diese Organisation in ein Instrument antirussischer Politik verwandelt“ zu haben. „Alle Verantwortung für die Zerstörung des gemeinsamen humanitär-rechtlichen Raumes auf dem Kontinent und für die Folgen für den Europarat selbst, der ohne Russland seine gesamteuropäischen Koordinaten verliert, werden diejenigen tragen, die uns zu diesem Schritt zwingen.“ Man verlasse den Europarat „ohne Bedauern“, da die Organisation „eine Struktur einer aggressiven Einpflanzung eines neoliberalen Ansatzes zu den Menschenrechten“ geworden sei.
Der Europarat wurde am 5. Mai 1949 von den Ländern Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande und Norwegen gegründet. In der Folge traten ihm fast alle westlich orientierten Staaten Europas bei. Laut Satzung soll er einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern verwirklichen, „um die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe sind, zu schützen und zu fördern und um ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu begünstigen“. Bis Mittwoch hatte die Organisation, die nicht zur Europäischen Union gehört, 47 Mitglieder. Ihre Hauptaufgabe ist es, über die Einhaltung der Menschenrechte zu wachen, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt werden. Bei Verstößen ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zuständig. Nur Mitglieder des Europarats unterliegen seiner Rechtsprechung.
Viele Urteile, wenig Wirkung
Russland war dem Europarat 1996 beigetreten und wurde oft vom EGMR verurteilt. Schon in der Vergangenheit weigerte sich das Land allerdings regelmäßig, die Entscheidungen aus Straßburg umzusetzen. So wurden Oppositionellen wie Alexej Nawalnyj zwar die in Straßburg zuerkannten Entschädigungssummen gezahlt, doch Aufforderungen des EGMR, im Widerspruch zur Menschenrechtskonvention ergangene Justizentscheidungen zu korrigieren, blieben ohne Folgen.
Nachdem der Europarat Russland infolge der Krim-Annexion 2014 das Stimmrecht entzogen hatte, stellte Moskau seine Zahlungen an das Gremium größtenteils ein und drohte damit, auszutreten. 2019 wurde das Stimmrecht wiederhergestellt, wofür sich damals insbesondere Deutschland einsetzte. In den vergangenen Wochen erließ der EGMR mehrere einstweilige Maßnahmen gegen Russland, die Moskau nicht befolgt hat.
Von 2015 an hatte Moskau die Gültigkeit von Entscheidungen des EGMR zunächst unter justiziellen, dann einfachgesetzlichen und 2020 sogar unter verfassungsrechtlichen Vorbehalt gestellt, um einen Vorrang nationalen Rechts vor den völkerrechtlichen Verpflichtungen sicherzustellen. Jetzt ist den Opfern von Menschenrechtsverletzungen im Land die wichtigste, vielfach einzige Hoffnung auf gerichtliche Genugtuung abgeschnitten. Das hoben am Mittwoch auch Mitglieder des Föderationsrats, des russischen Oberhauses, hervor. Der Senator Andrej Klischas sagte, auf das Moratorium für die Todesstrafe, das Russland einst mit Blick auf den Beitritt zum Europarat verhängt hatte, werde der „Austritt“ keinen Einfluss haben. Jüngst hatte der stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats, Dmitrij Medwedjew, das Ende der Mitgliedschaft im Europarat allerdings als „gute Möglichkeit“ bezeichnet, die Todesstrafe für „besonders gefährliche Verbrecher“ zurückzubringen.
Ebenfalls am Mittwoch forderte der Internationale Gerichtshof in Den Haag Russland auf, die militärische Gewalt in der Ukraine sofort zu beenden. Kiew hatte sich mit einem entsprechenden Eilantrag an das höchste Gericht der Vereinten Nationen gewandt. Wie die Entscheidungen des EGMR sind auch die Urteile des Internationalen Gerichtshofs bindend, durchsetzen kann aber auch er sie kaum.