Liebe Leserin, lieber Leser,
immer weiter geht es bei uns. Das Land lockert sich, die Regeln lockern sich, die Menschen lockern sich. Das einzige, das fehlt, ist eine Ahnung, wo's hingeht. Es ist in etwa so, wie mit dem Schild oben: Die Richtung ist angezeigt, aber niemand weiß, was da am Zielpunkt wartet. Wir tappen ahnungslos nach vorne. Man sollte die Entwicklung in der derzeit abklingenden Corona-Zeit vorsichtig kritisch sehen, aber man muss Entwicklung und Weitergehen dennoch zulassen. Wer ängstlich stehen bleibt und sich nicht weiterbewegt, bis dass wirklich alle Unklarheiten ausgeräumt sind, der stagniert, verdorrt und verhindert jegliches Wachstum. Als Christen kennen wir beide Wege, wenn auch vielleicht nicht aus der persönlichen Erfahrung, so aber doch aus der Geschichte unserer Kirche. Von Grund auf ist sie ja eher "bewahrend" programmiert, und so nehmen wir sie ja auch meistens wahr. Oft hat sich das auch als gut erwiesen, denn so mancher quirlige Zeitgeist ist schon wieder verschwunden, bevor nicht nur einzelne Menschen, sondern die Gesamtheit der Kirche sich mit ihm auseinandersetzen konnte.
Manchmal aber tut es gut, eben nicht nur zu bewahren, sondern sich auch mal auf den Weg des ungewissen Ausgangs zu machen. Also, im Vertrauen auf Gottes Beistand Wege zu beschreiten, von denen man nicht weiß, wo sie am Ende wirklich rauskommen.
Jetzt, in diesen Wochen, nimmt uns Corona als Kirche ganz schön mit auf diesem Weg. Wie lassen uns mitziehen von der gesellschaftlichen Lockerung - und das ist gut so. Wenn wir zurückschauen auf die Wochen des Lockdown, dann sehen wir einerseits den verordneten Stillstand, der unser Leben als Gemeinschaft glaubender Menschen ja wirklich auch hart getroffen und eingeschränkt hat. Aber wir sehen auch viele kleine Aufbrüche, die entstanden sind, wo Christen zu Hause selber versucht haben, die Sonn- und Feiertage mit einfachen Mitteln und guten Ideen zu Hause selber zu gestalten. Der uralte Gedanke der "Hauskirche" ist auf einmal wieder da. Das muss nichts Großartiges sein, keine lange Liturgie am Esstisch oder wo auch immer. Aber ein guter Gedanke vor dem Essen, ein gemeinsamer Rückblick auf die letzte Woche, ein kurzes Dankeschön für all das, was man als "nicht selbstverständlich" in den letzten Tagen erlebt hat - dies und manches andere sind Inhalte, die Menschen mit christlicher Prägung selbständig in eine Form des Gebetes gebracht haben. Und damit haben sie die Zeit des Stillstands überbrückt. Viele haben dazu auch noch in die angebotenen Internet-Messen angeschaut und mitgefeiert, eine Kerze dabei zu Hause entzündet und sich so mit der großen Gemeinschaft der Gemeinde sonntags verbunden.
Ich glaube, dass all diese kleinen "Hausgottesdienste" eine Etappe auf dem Weg zum noch unbekannten Ziel sind, zu dem hin uns das unbeschriftete Schild oben führt. Etappen und Erfahrungen, die Menschen überall gemacht haben, nicht nur bei uns in Andernach. Aber eben auch hier.
Manche Leute haben mir davon berichtet, und ich bin sehr dankbar dafür. Dass Christen die Gestaltung christlicher Fixpunkte im Wochenablauf selber in die Hand nehmen, ist doch ein Zeichen, dass wir in der Lage sind, aus unserer "Taufbefähigung zum Leben" etwas zu machen. Ich glaube, dass dies eine wichtige Erfahrung ist auf dem Weg in die Zukunft. Der Theologe Matthias Sellmann hat das mal schön auf den Punkt gebracht: Die Christen sind nicht allein dazu da, die Kirche zu bilden. Vielmehr ist Kirche dazu da, Menschen zum Christsein zu befähigen. Eine Einsicht, die sicher nicht neu ist, die aber auf dem Hintergrund der Corona-Kirchen-Erfahrungen sicher nochmal neue Bedeutung bekommt. Da leiten sich jetzt sicher Fragen von ab, die uns in den nächsten Monaten und Jahren beschäftigen können. Ich möchte dafür werben, dass sich Gruppen und Gremien, wenn sie sich wieder treffen, auch damit mal auseinandersetzen, bevor sie versucht sind, alles nur wieder so zu machen, wie es vorher auch war. Es braucht die Mitarbeit und die Erfahrung aller, um herauszufinden, ob und wie die Corona-Zeit unser Kirche-Sein hier am Ort beeinflusst (hat). Wenn Sie irgendwie Gelegenheit haben, sich da einzubringen, dann machen Sie mit. Vielleicht ergibt sich im Laufe der Zeit ein Hinweis auf eine gute Form und Gestalt von Kirche, die Menschen fähig macht, Gott zu suchen, von ihm zu sprechen, aus seinem Geist heraus zu handeln und ihm in Situationen von Freude und Trauer Ausdruck zu geben, den wir in unserer Zeit auch gut verstehen können. "Vielfalt" ist dann sicher ein wichtiges Schlüsselwort.
Einen gesegneten Dreifaltigkeits-Sonntag
(auch so eine Sache... beruht auf der Erfahrung e i n e s Gottes in drei unterschiedlichen Weisen: als Vater, als Sohn und als Hl. Geist)
wünscht Ihnen
Ihr Pastor
Stefan Dumont