Liebe Leserin, lieber Leser,
einen herzlichen Gruß möchte ich Ihnen auf diesem Wege wieder schicken - an diesem bemerkenswerten Donnerstag vor dem 5. Fastensonntag.
Es wird (wiedermal) ein unruhiger Tag für die Kirche in Deutschland. In Köln wird heute morgen das lange erwartete Gutachten zur Aufarbeitung des Mißbrauchsskandals veröffentlicht. Die Umstände seiner Entstehung und des Weges bis zum heutigen Tag haben die Öffentlichkeit massiv bewegt und den kirchlich engagierten Frauen und Männern viel abverlangt an äußerer und innerer Auseinandersetzung und Rechtfertigung.
Nicht nur in Köln, auch hier bei uns. In der Pfarreiengemeinschaft Andernach sind seit dem 1. Januar dieses Jahres bisher insgesamt 26 Personen aus der Gemeinschaft der Kirche ausgetreten. Die Gründe kennen wir ja im Einzelnen nicht, aber für zweieinhalb Monate ist das schon eine große Zahl, finde ich. Da geht gerade ganz viel kaputt.
Die Dramaturgie dieser Krise fordert jetzt auch endlich sichtbare Konsequenzen. Man darf gespannt sein, was sich da tut. Die Medien werden uns sicher bis weit über Ostern ständig damit konfrontieren.
Nicht, dass dies schon alles schlimm genug ist, und Corona uns nach wie vor "normales" kirchliches Gemeindeleben unendlich schwer macht, setzen die Römer diese Woche nochmal eins drauf mit ihrer Instruktion zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Die Begründung für das kategorische Nein aus Rom liest sich anachronistisch, ängstlich, hilflos und schöpft aus einer lange vergangenen Weltanschauung. Menschen zu segnen, Ihnen Gottes gutes Wort und sein Wohlwollen zuzusprechen, kann doch nicht gegen den Willen Jesu sein! Der Generalvikar unseres Nachbarbistums Speyer hat das in einem Beitrag in den sozialen Netzwerken so ausgedrückt: "Ich habe Wohnungen, Autos, Fahrstühle, unzählige Rosenkränze usw. gesegnet und soll zwei Menschen nicht segnen können, die sich lieben? Das kann nicht Gottes Wille sein." Dieser und ähnliche Beiträge finden auf Facebook und Co enorme Resonanz, auch unter Gottes Bodenpersonal.
Man hat den Eindruck, die römischen Behörden versuchen derzeit gerade die deutsche Kirche in ihren sichtbaren Reformbemühungen und dem allgemeinen Wunsch nach echten Veränderungen auszubremsen. Statt Zuwendung zum Menschen, wie sie Jesus doch immer wieder gezeigt hat, betreiben sie in Rom Aus- und Abgrenzung.
Wer die biblischen Evangelien aufmerksam liest, wird feststellen, dass Jesus sich, bevor er etwas sagt oder lehrt, immer erstmal einer Person zuwendet. Das ist eine Grundhaltung bei ihm. Aber "seine Kurie" damals hatte damit ja auch schon ihre Probleme. Gelegentlich lesen wir, dass die Jünger die Leute schroff abwiesen (Mk 10,13).
Jahrhundertelang hat die Kirche bestimmt, wer zu Gott gehören darf - und wer nicht. Diese Zeiten sind vorbei. Kirche ist nicht mehr Herrin über den Glauben der Menschen. Paulus bringt das im 2. Korintherbrief auf den Punkt: "Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude" (2 Kor 1,24).
Im kirchlichen Alltag zeigt sich das im Bemühen, den Menschen Glauben anzubieten, und zu zeigen, dass ein Leben mit Gott einen echten Mehrwert bedeuten kann. Das ist unser Dienst als Kirche, und dazu braucht unsere Gesellschaft heute auch die Kirche, denn sie ist der Raum, in dem Menschen Gott begegnen können, und der Gleichgesinnte miteinander sammelt.
Ich glaube, dass ein solches Selbstverständnis von Kirche in unsere Zeit passt. Es verlangt von der Institution etwas mehr Demut und ist von Grund auf offen für jede und jeden, der eine Verbindung mit Gott sucht.
Eigentlich hatte ich oben ein anderes Bild für diesen Hirtenbrief vorgesehen. Der im Lockdown menschenleere Petersplatz in Rom sollte es sein, der ohne die vielen Menschen drauf sehr beeindruckend aussieht, aber auch einsam und öde. Kirche ohne Menschen - eine traurige Prophetie...
Dann sah ich heute morgen dieses Bild von den gebundenen Reben am Weinstock oben. Es erinnert mich an meine Heimat zu Hause an der Mosel. Da sah es im Frühjahr in jedem Wingert so aus, als man noch jede Rebe an einem Weinstock kultivierte. Das äußerlich trockene Holz wird in Herzform gebunden - und treibt dann wieder aus. Wenn Sonne und Regen in gesunder Mischung den Sommer über alles geben, dann wird am Ende ein guter Wein daraus.
Ich hoffe und bete (vielleicht auch mit Ihnen) drum, dass es den Verantwortlichen in der Kirche, aber auch uns allen hier vor Ort gelingt, mit Gottes Hilfe, mit Liebe zur Kirche - die uns allen doch eine Heimat ist - und mit viel gutem Willen die Kräfte zu bündeln, das Gute zu kultivieren, und den Glauben an das Gottesreich zu stärken - und das mit all den gebeutelten und ausgetrockneten Zweigen, die unsere Kirche vor Ort mittlerweile hat.
Die Wurzeln einer Rebe reichen sehr tief in den Boden. Die Wurzeln unseres Christseins auch. Solange wir uns immer wieder erinnern, warum und wozu wir Kirche sind und wo unsere Kraftquelle ist, solange werden wir auch immer wieder Blüten und Früchte tragen.
Die vor uns liegende Feier des Osterfestes führt uns genau dahin. Das Gedenken an Leiden, Tod und Auferstehung Jesu stellt uns vor Augen, dass es sich lohnt, dem Himmel zu vertrauen.
Mich persönlich trägt das in dieser Zeit, in diesen Tagen voller medialer Kirchenschelte und in den Tagen der Angst und Sorge im Zusammenhang mit der dritten Corona-Welle. Aber: es wird Ostern. Ganz gewiß.
Das glaubt und hofft an diesem Sonntag
Ihr Pastor
Stefan Dumont