Liebe Leserinnen und Leser,
ein herzlicher Gruß aus der Pfarrgemeinde an Sie alle zum Sonntag! Wenn Sie zu den 600(!) Andernachern gehören, von denen ich heute morgen in der Zeitung gelesen habe, dass Sie aktuell positiv getestet sind, dann wünsche ich Ihnen von Herzen baldige Genesung und den "milden Verlauf", der ja einerseits im Moment - Gott sei Dank - fast die Regel ist, andererseits bei vielen coronamüden Menschen auch zur Nachlässigkeit in der Vorsicht führt. Wie auch immer: Gute Besserung Ihnen.
Anfänglich war's ja nur eine dokumentarische Randnotiz: die Zählung der Wochen in der Corona-Zeit. Ich ging ja damals auch davon aus, dass Corona eine kurze Erscheinung sein könnte, aber dass ich irgendwann mal unter das Datum dieses elektronischen Hirtenbriefes tatsächlich den "einhundertsten Sonntag in Corona-Zeiten" schreiben würde, habe ich nicht erwartet.
Heute ist es soweit... Genau genommen ist es ja schon der einhunderterste Sonntag, denn der Lockdown bei Kirchens begann mit dem Wochenende 14./15. März 2020. Aber an diesem Sonntag vollenden wir tatsächlich die 100 Wochen, die geprägt sind von der Pandemie. In vier Wochen werden es dann 2 Jahre sein, die unsere Gesellschaft wie auch das Leben des Einzelnen verändert haben. Jede und jeder von Ihnen kann da eine eigene Geschichte von Sorge und Angst, von persönlicher Betroffenheit, vielleicht auch von eigener oder geteilter Trauer erzählen...
Dass die Pandemie auch das Leben der Kirche, und sichtbar auch das Leben einer jeden Pfarrgemeinde durchpflügt und verändert, war schon nach einigen Wochen sichtbar - und spürbar. Der erste Lockdown hat ja wirklich alles in Stillstand versetzt. Vieles hat sich bis heute nicht davon erholt. Ich denke da z.B. an unsere Kirchenchöre, deren Gemeinschaft ja zunächst mal aus dem unbeschwerten gemeinsamen Singen wächst. Doch dies ist auch jetzt, in der 4. Welle, noch nicht möglich.
Und dennoch: So vieles hat sich neu entwickelt in dieser Zeit, das darf man auch nicht verschweigen. Nach den Wochen des totalen Lockdowns kamen die ersten Lockerungen und Erlaubnisse, auch wieder öffentlich Gottesdienst zu feiern. Sich - zwar auf Abstand - zu versammeln, aber dennoch zu begegnen, sich in der Kirche zunicken zu können oder draußen auf Abstand ein paar Worte miteinander wechseln zu können, das war ab Mai 2020 fast wie eine Befreiung und Erlösung. Empfangsdienste wurden begründet, um Gottesdienstteilnehmer zu begrüßen und zu vermerken. In der Liturgie der Gottesdienste brachte das allgemeine Gesangsverbot für die Gemeinde neue Beteiligung vieler solistischer Musikerinnen und Musiker, Sängerinnen und Sänger. In manchen Kirchen wurden (und werden noch) Psalmen nach der Lesung durch die Lektorin oder den Lektor lesend vorgetragen, dazu spielt die Orgel leise Akkorde. Für manche Gottesdienstbesucher erschließt sich der Schatz dieser biblischen Gebete so zum ersten Mal. Dies und Anderes sind alles "Kleinigkeiten", die aber Spuren hinterlassen in der Art und Weise, wie wir Gottesdienst feiern.
Das Bildmotiv, das heute über dem Hirtenbrief steht, haben Sie schonmal in einer anderen Aufnahme sowohl hier, wie auch auf einem gedruckten Pfarrbrief gesehen. Es zeigt einen Ausschnitt des berühmten Fensters von Gerhard Richter im Kölner Dom. Der prominente Künstler wird in diesen Tagen 90 Jahre alt und viele Redaktionen illustrieren ihre Würdigungen in Wort und Bild mit diesem Fenster, das einfach nur bunt, und nach dem Zufallsprinzip aus über 11.000 farbige Glasquadrate in 72 Farben zusammengesetzt ist. Und keine dieser Würdigung kommt ohne die Abgrenzung zum damaligen Kardinal Meisner aus, dem das Fenster offensichtlich nicht gefallen hat. Und doch kam es 2007 in den Dom. Da sieht man mal, dass schon damals ein Kölner Kardinal an seine Grenzen stieß, denn im Dom hat das Domkapitel das Sagen, nicht der Kardinal...
Ich habe dieses Bild gerne nochmal vorangestellt, weil das Farbspiel der Fenster innerhalb der letzten 2 Jahre auch innerkirchlich noch mehr an Bedeutung gewonnen hat. Seit vielen Jahren schon sind die Regenbogenfarben Markenzeichen der Friedensbewegung und der queeren Bewegung. Im letzten Jahr zierten sie manchen Kirchturm als Protestreaktion auf das römische "NoGo" für die Segnung homosexueller Paare. Seit der Kampagne #outinchurch vor 3 Wochen ist da nochmal mächtig Bewegung reingekommen. Bunte Farben werden mehr und mehr zum Signal, dass sich in der deutschen Kirche gerade eine Menge bewegt. Das letzte Wochenende war in dieser Hinsicht sicherlich ein besonderes: Auf der synodalen Versammlung in Frankfurt haben mehr als 2/3 der deutschen Bischöfe ihr Votum für viele schon lange geforderte Veränderungen gegeben. Das liest sich schon beeindruckend. Endlich, denkt sich der normale Gemeindechrist. Und dennoch ist klar, dass nun auch Rom mit ins Boot muss. Aber dafür liefert Papst Franziskus der deutschen Kirche das passende Forum mit der von ihm einberufenen Weltsynode, die 2023 in Rom zusammenkommen wird. Wenn die Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Kirche dort ihre Themen "posten" können und sie mit guten Argumenten vortragen, dann wird die sogenannte Weltkirche daran nicht vorbei gehen, denn die Probleme der Kirche in Deutschland sind über kurz oder lang auch die Probleme der Kirche in anderen Ländern.