Liebe Leserin, lieber Leser,
jetzt, wo der Sommer vorbei zu gehen scheint, macht man sich Gedanken um all die schönen Anlässe, die uns normalerweise in der herbstlichen Jahreszeit zusammenführen. Aber wir sehen es schon an einzelnen Pressemeldungen: Martinszüge fallen wegen der Corona-Pandemie aus, Märkte sind abgesagt und Weihnachten wird auch anders gefeiert werden. Und weiterhin fallen auch bei uns wöchentlich geplante Veranstaltungen unseres Domjubiläums aus... Wo führt das hin? Macht uns Corona unser ganzes Brauchtum kaputt?
Das Domradio Köln hat dieser Tage ein interessantes Interview mit einem Brauchtumsforscher geführt. Er beschreibt Feste und gemeinschaftliche Feiern als einen "sozialen Kitt" für unsere Gesellschaft. In ihnen konzentriert sich das, was notwendig ist, nämlich das Empfinden von Gemeinschaft, das Miteinander, das Zusammentun, sich gegenseitig verantwortlich fühlen. “Brauch” heißt nicht ohne Grund “Brauch”. Es ist das, was „bräuchlich“ ist, was notwendig ist. Etwas, das erwartet wird. Bei St. Martin beispielsweise weiß jeder: Da gibt es einen Laternenzug, ein Feuer und Brezel für die Kinder. Und weil das immer so ist, ist es vertraut, und gibt einem das Gefühl: da gehöre ich hin, das gehört zu mir.
Und genau das fällt jetzt wahrscheinlich weg, weil dieses Gemeinschaftserlebnis eben nur unter größten Gefahren zu veranstalten wäre. Vielleicht wird es kleine private Veranstaltungen geben, im Familien- oder Nachbarschaftskreis. Warum nicht? Solange alles überschaubar ist. So wird alles, was bisher öffentlich, groß und laut war, privat und leise werden. Vieles wird kleiner, ursprünglicher, "das Große" geht im Moment einfach nicht so, wie gewohnt. Wir gehen wir damit um?
Man könnte das Ganze nur als Verlust empfinden. Da wird uns etwas genommen, was uns zusteht und dem wir hinterher hängen. Enttäuschung und Frust wäre die Folge. Das ist die eine Möglichkeit.
Die gelassene - und vielleicht auch die christliche Art des Umgangs damit ist eine andere. Nämlich zu sehen, was das Ganze bringt, und zu merken, dass wir eine Sehnsucht nach bestimmten Dingen haben, die wir brauchen, die nötig sind. Der "Brauch" ist das, was wir brauchen - und da steckt oft der Kern der Botschaft drin, die im Laufe der Zeit unsichtbarer geworden ist, weil Brauchtum, Kommerz und das Bedürfnis nach "mehr" und "größer" und "perfekter" sich in den Vordergrund geschoben haben.
Vielleicht ist es auch möglich, dass wir wieder lernen, die Dinge so zu leben, wie sie kommen. Wir leben im Augenblick nach dem Prinzip der Wirtschaft: alles, jetzt, hier und sofort. Und genau das funktioniert nicht mehr. Wir lernen jetzt wieder, dass wir warten müssen. Zum Beispiel an unserer Art, wie wir Weihnachten feiern. Da fangen wir sonst im August schon mit den ersten Plätzchen im Supermarktregal an und ziehen Weihnachten so weit nach vorne, dass zu Weihnachten selbst kaum noch etwas von Weihnachten übrig bleibt. Wie viele Menschen sind an Weihnachten des Weihnachtsfestes überdrüssig nach all dem, was die Weihnachtswelt uns bis Weihnachten als weihnachtlich verkauft hat. Aber all das ist jetzt in diesem Jahr so gar nicht planbar. Nichts ist wirklich berechenbar in den kommenden Wochen und Monaten.
So könnten wir jetzt wieder lernen, dass die Dinge ihre Zeit und ihren Ort haben. Das ist vielleicht ein ganz großer Gewinn, den wir gegenüber dem Verlust, der auch stattfindet, haben. Der Gewinn, dass wir merken: Wir können warten.
Vielleicht wird im Advent und an Weihnachten besonders deutlich, wie anders dieses Corona-Jahr ist. Wir merken, was wir wirklich brauchen vom Brauchtum und wir werden auf manches verzichten müssen. Wenn es dazu führt, dass wir Weihnachten dann wirklich ersehnen und erwarten, dann wird dieses Fest zumindest in diesem Jahr einen neuen, vielleicht ursprünglichen Charakter haben.
Seitens des Pastoralteams wollen wir da nicht unvorbereitet in diese Zeit schlittern und machen uns auch schon Gedanken, wie Weihnachten in der Andernacher Pfarreiengemeinschaft im Jahr 2020 aussehen soll – auf dem Hintergrund von Abstandsregeln, Singverbot und Kirchenräumen, die „voll“ sind, auch wenn sie nur zu einem Drittel gefüllt sind. Ich glaube, wir werden neue Schwerpunkte finden, werden aus dem kirchlichen Weihnachtsangebot der letzten Jahre all das herausfiltern, was wir „brauchen“ um Weihnachten mit Herz und Seele feiern zu können.
„Brauchtum filtern“ und die wichtigsten Bestandteile und Inhalte heraussuchen... das ist eine interessante Aufgabe, die wir in allen Bereichen der Gemeinde und der Kirche mal anstellen könnten. Das schafft nichts ab, kein Fest, keinen Anlass. Aber es verändert den Blick auf das, worauf es eigentlich ankommt und was es zu erhalten gilt, im Brauchtum...
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Wochenende.
Es grüßt Ihr Pastor
Stefan Dumont