Abschiedsrede von Peter Meyer für die 9. Klasse 2021/22
Liebe 9. Klasse
»Wenn das Leben einen Sinn hat, dann muss auch das Leiden einen Sinn haben«, das war die Maxime des großen Arztes und Psychotherapeuten (Viktor Frankl).
Ich habe euch mal als Hefeteig geträumt, den ich bearbeiten wollte, der sich aber – im Traum – mir immer wieder entzog. Ich wollte hineingreifen und es tat sich ein Loch auf; ich bekam den Teig nicht in die Hände. Das ist gut 3 Monate her und in den letzten Wochen, in der Realität, war der Hefeteig wieder da, über die Monate hart geworden. Er liess sich nur mit sehr viel Intensität bearbeiten und formen, in der Erarbeitung des 9. Klasse Spiels «Verliebt euch» zum Beispiel (Premiere 28 Juni). Den Anforderungen hat sich der ‘Teig’ auch verweigern wollen. Ja, vielleicht hätte ich euch besser als Sauerteig begreifen sollen. Von dem Sauerteig weiss man, dass er Zeit braucht, dass er stehen muss. Die Frage nur wann, bei dem Programm und Anforderungen der Mittelstufe.
Ihr wart die 8 Klasse während Corona. Man hat euch «zugehangen», wo Gefühl für Freiheit erfahren werden sollte, ausprobiert, da wurdet ihr eingeschränkt. Seit Monaten seid ihr die Klasse, mit einem Krieg (in Europa). Eine Generation, die den Klimawandel am eigenen Leib erleben wird. Nichts scheint mehr sicher.
Und nun ging es darum, Entscheidungen zu treffen, in der 9 Klasse: Was ist der nächste Schritt, welche Zukunft wähle ich? Kann ich überhaupt wählen? Die Anforderungen der Welt: Was will sie? Was erwartet die Welt? Was brauche ich, um mitzutun, dabei zu sein? Was will die Welt von mir? Darf die das überhaupt? Soll die (Welt) mich nicht in Ruhe lassen? Und zu guter Letzt: Bin ich hier - überhaupt - willkommen? Was will ich von der Welt – was kann ich von der Welt erwarten?
Ich versuche euch eine Antwort zu geben, wie ich es die letzten 2 Jahre immer wieder versucht habe, im Unterricht. An einem Beispiel gebe ich sie, einem Menschen, einer Biografie. Es ist Viktor Emil Frankl, 1905 in Wien geboren, 1997 in Wien gestorben. Er war ein österreichischer Neurologe und Psychiater, begründete die Logotherapie und Existenzanalyse. Und er war Jude. Ein nachher weltberühmter Psychologe, der Erfahrungen in vier verschiedenen Konzentrationslagern, darunter Auschwitz, gemacht hat…und überlebte. Er schrieb ein Buch darüber: «Über den Sinn des Lebens»
Er schreibt: Was blieb im KZ? Antwort: Der «blosse» Mensch. Alles ist abgefallen: Geld, Macht, Ruhm; was uns wichtig scheint. Nichts ist mehr übrig und nichts, nichts mehr war sicher. Nichts war sicher: das Leben, die Beziehungen, das Glück.
Unter diesen Umständen fragte Viktor Frankl sich, nach dem Sinn (des Lebens). Es wäre einfach zu sagen, im Angesicht des (fast sicheren) Todes – er hat überlebt – es hat keinen Sinn, das Leben. In diesen Umständen des KZ lohnt sich das Leben nicht; hat es keinen Sinn. Und dennoch fand er einen Sinn…
Seine Antworten, es sind nur 2, sind folgende:
Erstens: Alles liegt am einzelnen Menschen. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn kann (euch) keiner abnehmen. Ihr müsst sie selbst, jede/jeder für sich beantworten.
Zweitens: Es braucht gedanklich eine Wendung, in jedem Einzelnen, eine fast kopernikanische Wende. Die Frage kann nicht mehr lauten (nach Frankls Erfahrungen):
«Was habe ich vom Leben zu erwarten», sondern nur - sie darf nur mehr lauten -
«Was erwartet das Leben VON MIR».
Denn (Zitat): «Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.»
Also, das will ich Euch, liebe 9. Klasse, zuletzt mitgeben, diese letzte Frage:
Welche AUFGABE wartet im Leben auf mich?
Geht und sucht sie.