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Urteil in Straßburg Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte untersagt Auslieferung nach China

Polen will einen Taiwaner nach China ausliefern. Das verstößt gegen die Menschenrechtskonvention, heißt es in einem Urteil des EGMR. Die Entscheidung dürfte weitreichende Konsequenzen für andere europäische Länder haben.
EGMR in Straßburg

EGMR in Straßburg

Foto: Dwi Anoraganingrum / imago images/Future Image

Es ist eine Entscheidung, die das Verhältnis zwischen China und europäischen Ländern massiv beeinflussen könnte: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich gegen Auslieferungen nach China ausgesprochen. Der EGMR urteilte, dass die Auslieferung in die Volksrepublik Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Verbot der Folter verletzen würde.

Konkret ging es um den Fall eines taiwanischen Staatsbürgers, der gegen seine Auslieferung von Polen nach China vor den EGMR gezogen war. Der Gerichtshof hatte dem Antrag am 6. Oktober stattgegeben. Die Entscheidung könnte laut der spanischen Nichtregierungsorganisation Safeguard Defenders nun bedeuten, dass europäische Länder keine weiteren Auslieferungen nach China vornehmen dürfen. Dies geht aus dem Entwurf eines Papiers der Organisation hervor, der dem SPIEGEL exklusiv vorliegt.

Der Europäischen Menschenrechtskonvention sind die 46 Länder beigetreten, die auch Mitglieder des Europarats sind. Russland und Belarus sind die einzigen größeren europäischen Staaten, die keine Mitglieder sind. Die 46 Staaten, die die Konvention unterzeichnet und ratifiziert haben, haben sich der Rechtsprechung des EGMR unterworfen.

EGMR widerspricht Entscheidung in Polen

Die Auslieferung des taiwanischen Staatsbürgers Liu Hongtao war in Polen in allen Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof genehmigt worden. Doch Liu war der Auffassung, dass seine Auslieferung an China gegen Artikel 3 und 6 der EMRK, die jeweils Folter und die Verweigerung des Rechts auf ein faires Verfahren betreffen, verstoßen würde. Deshalb appellierte er an den EGMR, der dem Appell zu Artikel 3 stattgab. Es wird nicht damit gerechnet, dass Polen gegen die Entscheidung angeht, denn es könnte zu einem noch strengeren Urteil gegen Warschau kommen, heißt es in dem Papier.

Safeguard Defenders schätzt, dass es sich um den ersten Fall handelt, in dem der EGMR sich zu einer Auslieferung nach China äußert. Bemerkenswert sei laut dem Bericht der Organisation außerdem, dass Liu kein Mitglied einer besonders bedrohten ethnischen oder religiösen Minderheit sei. Ihm wird Onlinebetrug in Spanien vorgeworfen, er war deshalb in Polen festgenommen worden.

Safeguard Defenders geht in seinem Bericht davon aus, dass die Entscheidung des EMGR in Lius Fall »ziemlich sicher« dazu führe, dass alle laufenden Auslieferungsersuchen der Mitgliedstaaten an China abgelehnt würden. Eine weitere Konsequenz könnte aus Sicht der NGO sein, dass Justizministerien in allen betroffenen Ländern keine Auslieferungsersuchen aus China mehr zur gerichtlichen Bearbeitung zulassen. Die NGO rechnet außerdem damit, dass die europäischen Länder, die Auslieferungsverträge mit China haben – unter anderem Frankreich, Italien und Spanien – diese bald aussetzen könnten.

Der Bundestagsabgeordnete Max Lucks, Obmann der Grünen im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, sagte dem SPIEGEL: »Dieses Urteil ist historisch und zeigt einmal mehr die Bedeutung des Europarats für den Menschenrechtsschutz.« Er forderte die Justizministerien aller 46 Mitgliedstaaten des Europarates auf, keine weiteren Auslieferungsersuche aus China zulassen. Auslieferungsverträge mit China müssten europaweit ausgesetzt werden, so Lucks.

col
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