Liebe Leserin, lieber Leser,
ein richtig dickes Ding! Wiedermal ist ein Buch erschienen. Mehr als 10 Jahre hat der Kreis der Autoren von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz daran gearbeitet. Alte "Inschriften im Landkreis Mayen Koblenz" sind das Thema. Was zunächst recht trocken klingt und außer einer gebotenen Ehrfurcht vor dem Umfang des Buches wenig Vergnügen verspricht, entpuppt sich bei genauerer Lektüre als Schatzkiste unserer christlichen Andernacher Tradition.
Ich wäre wahrscheinlich auch nicht wirklich in den Kreis der Leser gekommen, wenn nicht der Autor selbst mehrfach hier im Pfarrhaus und an verschiedenen Orten in Andernach zu Gast gewesen wäre und wir uns so kennenlernen konnten. Das war nämlich alles andere als "trocken" - weder vom Thema her, noch vom begleitenden Getränk...
Dr. Nickitsch hat die Gabe, überall interessante alte Schriften aufzuspüren, sie zu entziffern, eventuell auch zu übersetzen, und aus ihnen eine Geschichte zu lesen, die selten uninteressant ist. Natürlich hat er den Dom mit seinen Reliefs, Bildern und Sakralgegenständen rauf und runter entziffert, aber auch in Namedy ist er mehr als fündig geworden und hat die alte Beziehung des ursprünglichen Schwesternklosters mit der Burg und ihren früheren Bewohnern, der Familie Hausmann, ans Tageslicht geholt. Eine von den edlen Frauen steht noch heute in ihrem Grabepitaph unmittelbar in der alten Namedyer Kirche. Hermana Hausmann von Namedy heißt sie, und ihr Denkmal aus dem Jahr 1543 ziert sogar ganz prominent den Einband des schweren Buches. Das Bild oben zeigt sie rechts neben dem aus dem Mariendom bekannten Grabrelief des Daniel Schilling von Lahnstein.
Dazu kommen jede Menge weitere interessante Tafeln, Grabkreuze, Inschriften auf Glocken und Bildern, die aus der frühen und mittelalterlichen Zeit unserer Gegend hier erhalten sind. Das Buch läßt so viele Exponate wie möglich "zu Wort kommen" und zeigt uns Menschen heute auf, wie unsere Vorfahren hier lebten - und vor allem: was sie im Bezug auf "die letzten Dinge hin" geglaubt und gehofft haben. Christliche Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod zeigt sich schon damals nicht als Einheitsware, sondern so vielfältig wie es Menschen gab, die auf ihrem Grabstein oder auf anderen Stiftungen darauf hinwiesen, an was sie glauben und worauf sie hoffen. Die Nachwelt sollte wissen, dass sie einem guten und gnädigen Gott vertrauen und sich auf ein ewiges Leben bei ihm ausrichten. Unser Glück heute ist, dass es damals Menschen gab, denen es wichtig war, dass man auch in späteren Zeiten ihren Namen mit ihrer Überzeugung in Verbindung bringt.
Wie wird das in 500 Jahren sein, wenn sich Leute in der Zukunft mit den Menschen des 21. Jahrhunderts beschäftigen? Welche Quellen wird man dann lesen?
Vielleicht wird man dann alte Server auswerten, auf denen Profile von facebook oder Xing gespeichert sind. Aber ob von unserer Grab- und Bestattungskultur etwas übrig bleibt, das auf Hoffnung und Glaube an ein ewiges Leben zeugt, wage ich zu bezweifeln.
Wie auch immer: Das dicke Buch mit den Inschriften aus unserer Heimat ist für mich ein echtes Statement der Vergangenheit für uns in der Gegenwart. Die persönlichen Geschichten hinter der Grabplatte, zum Beispiel von Hermana, sind so lebensnah und wirklich, dass sie auch heute so stattfinden könnten. Da geht's auch um Mißgunst und Neid, um wechselnde Partnerschaften und unausgesprochene Konflikte. Die Kombination unterschiedlichster Familienwappen auf dem Grabstein gibt darüber Auskunft, wer mit wem - und so weiter...
Die Zeiten damals waren sicher nicht besser und die Menschen nicht schlechter als heute. Und auch über unsere Zeit werden mal Historiker berichten und andere ein Urteil fällen. Vielleicht tut es deshalb manchmal gut, sich der Vergangenheit gut zu erinnern, die Wurzeln der Herkunft zu kennen und auf diesem Fundament heute die Talente zu nutzen, die uns der Schöpfergott in diese konkrete Zeit mitgegeben hat. Und wer weiß, vielleicht bleibt von uns doch mehr, als nur ein Facebook-Profil in irgendeinem Datenspeicher. Ganz bestimmt sogar, denn wenn Gott zu unserem Leben ein unwiderrufliches "JA" spricht, dann wird er sich auch was bei Ihnen und mir gedacht haben...
Meinen Sie nicht auch...?
Ein schönes Novemberwochenende wünscht Ihnen Ihr Pastor
Stefan Dumont