Liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt in der Bibel Geschichten, die kennen wir schon von Kindesbeinen an. Und wenn wir sie hören, verbinden sich damit immer Bilder. Sie "ploppen" in unseren Gedanken plötzlich auf. Wir erinnern uns plötzlich an Situationen oder an bestimmte Personen, die wir mit der Geschichte in Verbindung bringen. Manchmal sind es aber auch eben Bilder, mit denen man uns als Kindern damals schon biblische Geschichten erzählt hat.
Wenn Sie sich jetzt mal dir drei Bilder oben anschauen, dann kommen Sie sicher schnell dahinter, was ich meine. Sie stammen vom niederländischen Künstler Kees de Kort und stellen die Geschichte von Bartimäus dar, dem blinden Bettler, der am Strassenrand sitzt und bettelt. Als er hört, dass Jesus irgendwo in der Nähe vorbeigeht, beginnt er laut zu rufen, um auf sich aufmerksam zu machen. Jesus bleibt stehen, wendet sich ihm zu und fragt ihn: "Was willst du, dass ich dir tun soll?" Allein diese Formulierung läßt mich immer sofort an diese Bartimäus-Geschichte denken, die früher so oft in Kindergottesdiensten nachgespielt oder im Kommunionunterricht behandelt wurde - eben mit den oben gezeigten Bildern von Kees de Kort.
Nun hat der blinde Bartimäus offensichtlich eine genaue Vorstellung dessen, was Jesus ihm Gutes tun kann, und er sagt es: "Ich möchte wieder sehen können". Genau das macht Jesus möglich. Bartimäus wird wieder sehen können.
Die biblische Erzählung schmückt diesen Moment nicht aus. Es wird keine Wunderheilung berichtet und auch kein Wundermittel eingesetzt. Stattdessen geht's einfach. Bartimäus sieht - und geht seines Weges. Kees de Kort aber gestaltet diese Szene auf dem dritten Bild oben aus: Ganz behutsam entbindet Jesus ihn von seiner Blindheit, löst ihn von allem, was ihn bindet und ihm die Sicht auf das Leben versperrt.
Am Sonntag werden wir diese Geschichte im Gottesdienst hören. Ich bin sicher, manchen von Ihnen wird es auch so gehen, dass sich sofort irgendwelche Bilder aus vergangenen Zeiten bei Ihnen melden. Erinnerungen an Situationen und Menschen, die Sie mit dieser Geschichte verbinden.
Neben den Bildern von Kees de Kort, die mir aus der eigenen Kinderzeit vertraut sind, ist das auch eine Begebenheit der jüngeren Geschichte. Ich denke bei der Bartimäus-Erzählung immer auch an Pastor Günter Schmidt. Er hat immer wieder das Jesuswort zitiert: "Was willst du, dass ich dir tun soll?". Er damit betont, das Jesus niemals jemandem etwas aufdrängt. Keine Lehre, keine Verpflichtung, keine Anweisung. Stattdessen liegt es in der eigenen Verantwortung des Menschen, zu sagen, was er will und braucht. So hat Pastor Schmidt Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des Einzelnen als Prinzip für die diakonische Arbeit in St. Stephan damals definiert. Ein hohes Gut...
Wenn wir in den kommenden Wochen und Monaten mit einer strukturellen Reform unserer Pfarreien und des ganzen Bistums versuchen, "Kirche hier am Ort" zu erneuern, dann könnten wir uns bei allem Überlegen und Erwägen dieses Prinzip auch zu Eigen machen. Die Frage ist doch, was die Menschen von der Kirche am Ort erwarten und vielleicht auch erhoffen. Dazu kommt im Gegenzug die Bestandsaufnahme dessen, was wir als Kirche den Menschen anbieten können, damit Sie in der Lage sind, Gott als echtes "Gegenüber" im Leben wahrzunehmen. Was können wir den Menschen anbieten, damit sie fähig sind nach ihm zu rufen, und zu antworten wenn ER sie fragt: "Was willst du, dass ich dir tun soll?". Das Ergebnis allein dieser Überlegungen könnte genügend pastorales Programm für die Zukunft sein: In der Frage nach der Art und Weise des Angebotes der Sakramente wie Taufe, Kommunion, Firmung oder der Hochzeit. Im Umgang mit der tiefen persönlichen Zuwendung Jesu zum Einzelnen in den Sakramenten der Vergebung, der Weihe und der Krankensalbung. All diese Feiern sind "GottesOrte", sind Gelegenheiten der Gottesbegegnung für die Menschen. Sie haben das Zeug zur Kraftquelle für das Leben und vermitteln Motivation, selber im Leben etwas zu tun, das gleichsam eine ganz persönliche Antwort an Gott sein kann. Im Engagement für die Gemeinde oder für einzelne Menschen, im Dienst beim Gottesdienst oder in der Organisation des Pfarreilebens, in der Hilfe für Caritas und Diakonie... All das braucht Menschen, die mit Herzblut bei der Sache sind, die ihr Herz ganz reingeben in das selbstgewählte Engagement. Nichts anderes bedeutet übrigens am Schluss der Bartimäus-Geschichte der Satz Jesu: "Dein Glaube hat dir geholfen". Was das jetzt so genau ist, können wir ja gar nicht sagen. Jeder und jede glaubt ja auf eigene Art und Weise. Das kann man nicht pauschalisieren. Aber vielleicht hilft die Erklärung, dass das lateinische Wort für "ich glaube" "credo" heißt. Es setzt sich zusammen aus dem Wort für "Herz (cor) und "ich gebe" (do). Wer glaubt, muss nicht alles über Gott wissen und ihn verstanden haben. Nein, Jesus versteht das ganz einfach: Glauben bedeutet, "sein Herz für etwas geben", "mit ganzem Herzen dabei sein".
Also: wie auch immer Strukturen die Kirche verändern - sie bleibt Kirche, solange sie Menschen sammelt, die "glauben". Menschen, die "mit ganzem Herzen dabei sind", weil sie Gott eine starke Stimme oder eine helfende Hand geben, mit deren Hilfe er bei uns Gutes tun kann.
"Da mache ich gerne mit!"
sagt Ihr Pastor
Stefan Dumont