Kommentar zur Corona-Krise: Debatte muss erlaubt sein!

Die Stadt Freiburg hat bereits eine Ausgangssperre erlassen. Noch gibt es eine solche Regelung nicht in ganz Deutschland

Die Stadt Freiburg hat bereits eine Ausgangssperre erlassen. Noch gibt es eine solche Regelung nicht in ganz Deutschland

Foto: Patrick Seeger / dpa
Von: SIMON SCHÜTZ

Die Welt steht Kopf. Corona hat auf dem gesamten Globus das Kommando übernommen. Erst langsam, dann mit rasender Geschwindigkeit.

Während wir anfangs mit Schrecken und teilweise mit Verachtung auf die restriktiven Maßnahmen in China geschaut haben, werden Forderungen nach einer Ausgangssperre in Deutschland lauter. Während wir anfangs gesagt haben, dass diese Maßnahmen in unseren Demokratien undenkbar seien, wird ihre Durchsetzung in Deutschland mittlerweile kaum hinterfragt.

Es ist beunruhigend, wie wir derzeit Rechte, die über Jahrhunderte erkämpft wurden, aussetzen, ohne darüber zu debattieren.

Noch beunruhigender ist: Wer diese Diskussion anstößt, gilt schnell als unsolidarisch, teilweise gar als asozial.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht in seiner Rede an die Nation innerhalb von zwanzig Minuten fünf Mal von „Krieg“, um dann eine Ausgangssperre zu verhängen. Damit wollte Macron nicht nur ausdrücken, wie ernst die Lage ist, sondern auch, dass Kritik an seinen Maßnahmen nicht geduldet wird. Kriegsrhetorik ist nicht zu übertreffen.

Ein Krieg setzt nahezu alle Regeln außer Kraft. Im Krieg gelten Kritiker schnell als Deserteure. In Berlin werden Menschen inzwischen auf ihrem Heimweg abends von Polizisten angehalten, sie werden gefragt, wo sie herkommen und mit wie vielen Menschen sie sich getroffen haben. Ja, Corona-Partys sind unverantwortlich – aber legitimiert der Verdacht auf unverantwortliches Verhalten eine derartige Kontrolle? Nein! Dennoch bleibt die Welle der Kritik derzeit aus.

Selbst, dass unsere Telefondaten nun anonymisiert an das RKI übermittelt werden, führte zu keinem Aufschrei. Und das in dem Land, in dem Datensicherheit größer geschrieben wird als in jedem anderen. Unsere Grundrechte werden in einem derartigen Tempo und so frei von kritischer Debatte ausgesetzt, dass man sich fragen muss, ob uns die Tragweite der Maßnahmen überhaupt bewusst ist. Aber nein, es geht bei der Infragestellung von Ausgangssperren nicht um schlichten Egoismus, sondern ebenfalls um die Sorge um unsere Gesellschaft.

Unsere Politik wird nach Corona noch viele Krisen und Herausforderungen meistern müssen.

Auch dann wird es von bestimmten Gruppen Rufe und Forderungen nach harten Maßnahmen geben. Mögen die Maßnahmen gegen das Corona-Virus gar völlig richtig und angemessen sein, so muss uns klar werden, dass sie einen Präzedenzfall geschaffen haben. Wenn Grenzschließungen jetzt möglich sind, warum führt man sie nicht auch bei der nächsten Flüchtlingskrise ein? Wenn die Wirtschaft angehalten werden kann, warum hält man sie nicht auch zur Bekämpfung des Klimas an?

Es wird nach der Corona-Krise schwieriger, solchen Forderungen zu widersprechen. Jene, die gerade nicht müde werden, noch restriktivere Maßnahmen zu fordern, sollten auch daran denken, ob ihre Situation sich vielleicht von derer vieler anderer unterscheidet. Eine Ausgangssperre fühlt sich für einen Menschen, der in einer Mehrzimmerwohnung wohnt, anders an, als für eine Familie, die mit Kindern eingeengt in einer kleinen Wohnung ausharren muss.

Bilder eines Arnold Schwarzeneggers, der im Jacuzzi seiner Villa sitzend erklärt, warum #stayinghome keine Schwierigkeit sei, grenzen an ignoranter Arroganz.

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Fest steht auch: Menschen, die bereits unter Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen leiden, werden ohne Alltag und soziale Kontakte an ihre Grenzen gebracht. Und wie sich die Zahlen der häuslichen Gewalt entwickeln, werden die nächsten Tage zeigen. Auch das hinterlässt langfristige Folgen.

Und die vielen, die aktuell munter Fotos des Homeoffice posten und betonen, dass das alles nicht so schlimm sei, können sich glücklich schätzen, dass ihr Job von zu Hause machbar ist. Der Bar-Besitzer, die Freiberuflichen, die Flugbegleiter oder die Kaufhaus-Mitarbeiter sind vielmehr damit beschäftigt, nun Wege zu finden, über die Runden zu kommen und die nächsten Mieten zu bezahlen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die jetzigen Maßnahmen viele Menschen an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz führen.

In meinem Stammcafé gab es gestern über den ganzen Tag 14 Gäste. Die Betreiberin sagte mir, sie habe keine Rücklagen und könne einen wochen- oder gar monatelange Einnahme-Einbruch nicht überstehen. Bei meinem Frisör war ich neulich Nachmittag um 17 Uhr der vierte Kunde. Seit gestern hat er geschlossen – ohne zu wissen, wie er nun Steuern, Miete und Angestellte bezahlen soll. Es steht außer Frage, dass diese Bedrohung außergewöhnliche, drastische Maßnahmen erfordert. Es ist unsere gesellschaftliche Pflicht, jedes mögliche Leben zu retten. Aber ebenso ist es unsere Verantwortung, unsere politische Skepsis nicht zu verlieren.

Und an die Zeit NACH Corona zu denken.

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