Chronologie:Assanges lange Flucht

Julian Assange festgenommen

Wikileaks-Gründer Julian Assange auf dem Balkon der Botschaft von Ecuador in London im Jahr 2017.

(Foto: Yui Mok/dpa)

Nach Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London und in britischer Haft droht dem Wikileaks-Gründer die Auslieferung an die USA. Ein Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse.

Von Leila Al-Serori, Lukas Ondreka, Gunnar Herrmann und Miriam Dahlinger

August 2010: Wegen des Verdachts auf Sexualvergehen erlässt die Staatsanwaltschaft in Stockholm Haftbefehl gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange. Dem Australier wird sexuelle Belästigung vorgeworfen. Assange sagt, die Vorwürfe seien "ohne Grundlage". Der Haftbefehl wird kurz darauf fallengelassen.

Oktober 2010: Wikileaks veröffentlicht 250 000 vertrauliche Diplomatenberichte, welche die US-Regierung in Schwierigkeiten bringen.

Dezember 2010: Wegen eines neuen Haftbefehls aus Schweden wird Assange in London festgenommen. Eine weitere Frau aus Stockholm wirft ihm sexuelle Belästigung und Nötigung vor. Nach einer Woche in Untersuchungshaft kommt er gegen Kaution unter Auflagen frei. Schweden fordert seine Auslieferung.

Februar 2011: Ein Londoner Gericht gibt dem Ersuchen um Auslieferung statt. Assange soll in Schweden zu den Vorwürfen befragt werden. Er geht in Berufung. Er befürchtet eine Auslieferung an die USA und eine Anklage vor US-Gerichten wegen der Veröffentlichungen bei Wikileaks. Bis heute ist eine solche Anklage in den USA nicht erhoben worden.

Mai 2012: Assange klagt sich durch zwei Instanzen. Das höchste britische Gericht, der Supreme Court, bestätigt aber die Auslieferung nach Schweden.

Juni 2012: Assange flieht - nach gescheitertem Einspruch - am 19. Juni in die Botschaft von Ecuador in London und beantragt dort politisches Asyl.

August 2012: Ecuador gewährt Assange Asyl, was zu diplomatischen Spannungen mit Großbritannien führt. Der Wikileaks-Gründer sieht sich zu Unrecht verfolgt. Am 19. August fordert er in einem Statement, dass die USA ihre "Hexenjagd" gegen seine Enthüllungsplattform beenden sollen. Assange drohen Festnahme und Ausweisung, sollte er die Botschaft verlassen.

Juli 2013: Ein US-Militärgericht verurteilt die Wikileaks-Informantin Chelsea Manning zu 35 Jahren Haft. Die US-Soldatin hatte 2010 Geheimdokumente zum Irak- und zum Afghanistankrieg an Assange weitergegeben. Wikileaks veröffentlichte diese und erregte damit erstmals international Aufsehen.

Juli 2014: Nach zwei Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London beantragt Assange in Schweden eine Aufhebung des vier Jahre alten Haftbefehls. Der Antrag scheitert.

August 2014: Bei einer Pressekonferenz sagt Assange, er wolle die Botschaft Ecuadors "bald" verlassen.

September 2014: Assange legt vor den Vereinten Nationen Beschwerde gegen Schweden und Großbritannien ein. Er werde "willkürlich inhaftiert", weil die Jahre, die er in der Botschaft Ecuadors verbracht habe, einer illegalen Inhaftierung gleichkämen. Eine Arbeitsgruppe der UN zu willkürlicher Haft nimmt sich seines Falles an.

August 2015: Die minderschweren Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und Nötigung verjähren. Die Staatsanwaltschaft in Stockholm verfolgt diese nicht weiter. Assange streitet weiter alle Vorwürfe ab.

Oktober 2015: Die britische Polizei zieht die Wache vor der Botschaft Ecuadors in London ab. Seit 2012 standen dort Beamte - die Kosten werden auf mehr als zwölf Millionen Pfund geschätzt.

Februar 2016: Das UN-Gremium zum Thema willkürliche Inhaftierung urteilt zugunsten Assanges. Es ist dem britischen Fernsehsender BBC zufolge der Ansicht, dass der Wikileaks-Gründer "willkürlich inhaftiert" wurde. Die Entscheidung des UN-Gremiums ist allerdings rechtlich nicht bindend.

Mai 2017: Schweden lässt alle Ermittlungen gegen Assange ruhen.

Januar 2018: Assange wird ecuadorianischer Staatsbürger und erhält den diplomatischen Status des Landes. Die britischen Behörden verweigern ihm aber die Ausreise in das südamerikanische Land.

Februar 2018: Der Wikileaks-Gründer will erreichen, dass der britische Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wird, weil in Schweden nicht mehr gegen ihn ermittelt wird. Die Londoner Richterin lehnt seinen Antrag ab. Er habe 2010 gegen die Kautionsauflagen verstoßen, als er sich in die Botschaft flüchtete - wegen dieses Verstoßes müsse er sich weiter den britischen Behörden stellen.

Mai 2018: Ecuador findet heraus, dass sich Assange in den geheimen Mailverkehr seiner Diplomaten gehackt hat. Der neue Präsident Lenín Moreno will ihn daraufhin so schnell wie möglich loswerden.

November 2018: Es wird bekannt, dass die US-Justiz im Geheimen eine Anklage gegen Assange zumindest vorbereitet hat.

Dezember 2018: Großbritannien bietet Assange an, ihn nicht an ein Land auszuliefern, in dem die Todesstrafe vollstreckt wird. Trotzdem müsse er eine Haftstrafe wegen seines Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen (der Flucht in die Botschaft) absitzen. Assange lehnt das Angebot aber ab.

April 2019: Präsident Moreno erklärt, Assange werde seinen Asylstatus verlieren, weil er gegen seine Asylbedingungen verstoßen habe. Kurz zuvor hatte Wikileaks über Korruptionsermittlungen gegen Moreno in Ecuador berichtet.

11. April 2019: Der Wikileaks-Gründer wird nach mehr als sechs Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London festgenommen. Die US-Justiz teilt mit, dass sie Anklage erhebt. Sie wirft ihm Verschwörung mit Chelsea Manning für einen Hackerangriff auf Pentagon-Computer vor. Es droht eine Maximalstrafe von fünf Jahren.

1. Mai 2019: Assange wird in London zu einer Gefängnisstrafe von 50 Wochen verurteilt. Der Grund: Er hatte mit seiner Flucht in die ecuadorianische Botschaft gegen Bewährungsauflagen verstoßen.

9. Mai 2019: Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, besucht Assange im Gefängnis und übt heftige Kritik an den Haftbedingungen. In einem Interview mit der SZ spricht Melzer später von "psychischer Folter" der Assange ausgesetzt sei.

13. Mai 2019: Die schwedische Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen den Wikileaks-Gründer wieder auf, die 2017 vorübergehend eingestellt worden waren. Einige der Vorwürfe sind mittlerweile verjährt, aber ein Sexualdelikt kann von den Anklägern noch verfolgt werden.

23. Mai 2019: Die US-Justiz verschärft ihre Anklage gegen Assange. 17 weitere Anklagepunkte werden veröffentlicht. Neben der Verschwörung mit der früheren US-Militärgeheimdienstanalystin Chelsea Manning für einen Hackerangriff werden ihm nun unter anderem Spionage und Geheimnisverrat vorgeworfen. Theoretische Höchststrafe: 175 Jahre. Assanges Verteidiger nennen die Anklage politisch motiviert und sehen darin einen Angriff auf die Pressefreiheit.

13. Juni 2019: Der britische Innenminister Sajid Javid lässt das Auslieferungsersuchen der USA zu. Er habe den Antrag formell bestätigt, sagt er dem BBC-Radio. Die endgültige Entscheidung über eine Auslieferung wird aber ein Gericht Anfang 2020 fällen. Die Anhörung über das Ersuchen soll am 25. Februar 2020 vor einem britischen Gericht beginnen - Assange soll bis Verhandlungsbeginn in Haft bleiben müssen.

19. November 2019: Die schwedische Staatsanwaltschaft stellt endgültig ihre Voruntersuchung wegen der Sexualdelikte ein. Die Beweislage sei zu dünn für eine Anklage.

24. Februar 2020: Die Anhörung zum Auslieferungsantrag der US-Justiz gegen Assange beginnt. In London wird darüber verhandelt, ob er an die USA übergeben werden soll. Stimmt das britische Gericht dem zu, droht Assange eine Anklage in 18 Punkten - und damit bis zu 175 Jahre Haft. Der Wikileaks-Gründer wirkt zum Prozessauftakt unkonzentriert.

13. März 2020: Die frühere Wikileaks-Informantin Chelsea Manning wird nach etwas mehr als einem Jahr Beugehaft aus dem Gefängnis entlassen. Manning hatte sich geweigert, über Assange auszusagen.

25. Juni 2020: Die US-Justiz erweitert die Anklage gegen Assange. Man gehe von einer breiteren Verschwörung beim Ausspionieren von Computern aus als bislang angenommen, teilt das Justizministerium mit. Demnach hätten "Assange und andere" Menschen dafür rekrutiert, um zugunsten von Wikileaks Netzwerke zu hacken. Zu den bisher 18 Anklagepunkten gegen Assange würden jedoch keine weiteren hinzugefügt, die Anklage werde lediglich erweitert.

22. September 2020: Der Psychiater Michael Kopelmann sagt vor Gericht aus, dass Assange akut suizidgefährdet sei. Es gebe ein "hohes Risiko", dass er sich das Leben nehmen wolle. Der Wikileaks-Gründer habe Halluzinationen und höre Stimmen.

4. Januar 2021: Ein britisches Gericht lehnt die Übergabe von Assange an die USA ab. Die Richterin begründet ihre Entscheidung mit dem psychischen Gesundheitszustand Assanges und den Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in Isolationshaft das Leben nehmen werde. Eine Berufung gilt als wahrscheinlich.

6. Januar 2021: Assange bleibt in Haft. Ein Gericht in London lehnt einen Antrag von Assanges Verteidigung ab, ihn gegen Kaution freizulassen. Es gebe Gründe für die Annahme, dass Assange bei einer Freilassung fliehen würde, erklärt die Richterin.

9. Februar 2021: Wie schon sein Vorgänger Trump will auch der neue US-Präsident Joe Biden eine Auslieferung Assanges erreichen. Ein Sprecher des US-Justizministeriums erklärt, die neue Regierung wolle gegen die Entscheidung des britischen Gerichts Einspruch erheben, Assange nicht an die USA zu überstellen.

27. Oktober 2021: Der Rechtsstreit um eine mögliche Auslieferung Assanges an die USA geht in die zweite Runde. Die USA drängen auf die Auslieferung des Wikileaks-Gründers, um ihm selbst den Prozess wegen Spionagevorwürfen machen zu können. Ihm drohen bis zu 175 Jahre Haft.

12. November 2021: Julian Assange bekommt die Erlaubnis, im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh die britische Anwältin Stella Moris zu heiraten. Das Paar hat zwei Kinder. Wann die Hochzeit stattfinden soll, ist nicht bekannt.

10. Dezember 2021: Das Berufungsgericht in London billigt die Auslieferung Assanges an die USA. Vermutlich wird der Fall noch in die nächste Instanz gehen.

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