Wahlen in Indien:Kampf um die Stimmen der Armen

Wahlen in Indien: Der Spitzenkandidat der BJP im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh, Yogi Adityanath, im Wahlkampf. Im Hintergrund ein Plakat von Ministerpräsident Narendra Modi.

Der Spitzenkandidat der BJP im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh, Yogi Adityanath, im Wahlkampf. Im Hintergrund ein Plakat von Ministerpräsident Narendra Modi.

(Foto: Sanjay Kanojia/AFP)

Ab Donnerstag wird in fünf indischen Bundesstaaten abgestimmt - auch über die Politik von Premierminister Modi. Eine wichtige Rolle spielen die Bauern und der Konflikt zwischen Hindus und Muslimen.

Von David Pfeifer, Bangkok

"Wir werden warten, wer in den Umfragen vorne liegt, hinter der BJP - und diese Partei werden wir dann geschlossen wählen." Das sagte Rakesh Tikait, 51, Sprecher von etwa 40 Millionen Bauern aus Uttar Pradesh, der Süddeutschen Zeitung. Nach einer missglückten Agrar-Reform blockierten die Bauern aus diesem und anderen Bundesstaaten monatelang die Zugangsstraßen nach Delhi mit Protest-Camps, es gab Krawalle und Tote. "Wir werden hierblieben, bis man mit uns spricht" sagte Tikait August vergangenen Jahres. Im Dezember, nach fast einem Jahr, gab die Regierung schließlich nach - ein Sieg für die Bauern.

Die Camps sind mittlerweile abgebaut, nun wird gewählt. Ab dem 10. Februar in Uttar Pradesh, dem größten und bevölkerungsreichsten Bundesstaat in Indien, danach im Punjab, in Goa, Manipur, und Uttarakand. Bis zum 7. März wird das gehen und außer im Punjab ist überall die BJP, die Bharatiya Janata Party, an der Regierung. Es wird also auch eine Abstimmung über Premierminister Narendra Modi, 71, werden. Über seinen Umgang mit den Bauern und natürlich mit der Pandemie.

Die Regierung hatte mit späten und harten Lockdowns reagiert, die dazu führten, dass sich Covid-19 durch die heimreisenden Wanderarbeiter erst im ganzen Land verbreiten konnte. Das Gesundheitssystem brach zusammen. In Delhi hat fast jeder eine Geschichte von Leid, Tod und Trauer zu erzählen. Und von horrenden Rechnungen, die man geschickt bekam, Wochen nachdem man sich von den Verwandten in den Krankenhäusern per Smartphone verabschieden musste. Seitdem wird Zahlenmagie betrieben: die Regierung spricht von mittlerweile etwa 500 000 Corona-Toten, unabhängige Beobachter von mehr als vier Millionen. Beide Zahlen muss man an einer Bevölkerung von 1.3 Milliarden Menschen messen.

Uttar Pradesh, wo die Wahlen nun starten, wäre mit etwa 240 Millionen Einwohnern als eigenes Land das fünftgrößte der Welt, nach China und den USA, vor Brasilien und Pakistan. Mehr als 150 Millionen Wählerinnen und Wähler werden dort ab dem 10. Februar in 174 351 Wahllokalen an sieben Terminen ihre Stimme abgeben, das letzte Mal am 7. März. Tausende von Polizisten und Sicherheitsbeamten sind im Einsatz, um einen freien und fairen Verlauf der Wahlen zu gewährleisten.

2017 gewann die BJP hier 312 der 403 Sitze. Bei den Parlamentswahlen 2019 holte sie in Uttar Pradesh 62 von 80 möglichen Sitzen. Wer hier siegt, hat gute Chancen, 2024 auch die Parlamentswahlen zu gewinnen. Seit Jahrzehnten gelang es allerdings keiner Partei, hier wiedergewählt zu werden, zu groß waren die Enttäuschungen nach jeder Regierungsperiode. Das könnte sich nun mit der BJP ändern.

Fast 38 Prozent der Bevölkerung von Uttar Pradesh leben in Armut

Beobachter führen das nicht nur auf die Popularität von Narendra Modi zurück, sondern auch auf den Spitzenkandidaten der BJP im Bundesstaat, Yogi Adityanath, 49, ein Hindu-Mönch, der sich unter anderem für den Tempelbau in Ayodhya stark macht. Dort wird auf den Ruinen der von radikalen Hindus zerstörten Babri-Moschee unter hohen Sicherheitsvorkehrungen ein Tempel für Gott Rama errichtet. Wer die Baustelle besichtigen will, muss diverse Körper-Scanner durchlaufen und darf sich nur auf einem vollvergitterten Weg bewegen. Der Bau steht sinnbildlich für die Konflikte zwischen Hindus und Muslimen, die von Adityanath wie auch von Modi befeuert werden, um Wähler zu motivieren. Seit Monaten sind beide Politiker in ganz Uttar Pradesh auf Wahlplakaten zu sehen, an Kreuzungen auf staubigen Landstraßen genauso wie in der Hauptstadt Lakhnau.

Auf Wahlkampfveranstaltungen wirbt Yogi Adityanath damit, dass er viele Arbeitsplätze geschaffen und die Wirtschaft angekurbelt habe und für mehr Recht und Ordnung im Bundesstaat sorge. Doch die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Inflation auch, diese Sorgen haben Hindus wie Muslime gleichermaßen. Hier gilt die indische Redensart: "Der Katze ist es egal, welche Farbe die Kuh hat, deren Milch sie trinkt." Die US-Version lautet: "It's the economy, stupid." Uttar Pradesh ist nicht nur der größte, sondern auch der ärmste Bundesstaat. Laut Armutsindex leben fast 38 Prozent der Bevölkerung von Uttar Pradesh in Armut, mehr als 44 Prozent haben keine ausreichende Ernährung und Millionen immer noch keinen Zugang zu einer Toilette und stabiler Stromversorgung.

An diesem Punkt werden Adityanath und die BJP attackiert von der Samajwadi Party unter Akhilesh Yadav, 48, der bereits jüngster Ministerpräsident Uttar Pradeshs war, bevor er 2017 abgewählt wurde. Yadav verspricht kostenlose Elektrizität für alle Haushalte, Renten für arme Frauen und zinslose Darlehen für Landwirte, falls er wiedergewählt wird. Um seine Chancen zu verbessern, hat er sich mit einer Reihe kleinerer Parteien verbündet.

Wahlen in Indien: Akhilesh Yada von der Samajwadi Party (links) und Priyanka Gandhi von der Kongresspartei (aus dem Auto winkend), während einer Wahlkampfveranstaltung in Bulandshahar Anfang Februar.

Akhilesh Yada von der Samajwadi Party (links) und Priyanka Gandhi von der Kongresspartei (aus dem Auto winkend), während einer Wahlkampfveranstaltung in Bulandshahar Anfang Februar.

(Foto: Shantanu Biswas/AP)

Dann gibt es noch Mayawati, die Kandidatin der Bahujan Samaj Party und wichtige Figur der Dalit, der sogenannten Unberührbaren, die ein Comeback anstrebt. Andererseits war sie bereits viermal Ministerpräsidentin und hat diese Zeit unter anderem dazu genutzt, für Millionen von Euro ein Monument in der Hauptstadt Lakhnau errichten zu lassen, mit Springbrunnen, steinernen Elefanten und Ausstellungshallen, in denen zahlreiche Bronze-Statuen zu sehen sind - die sie selbst zeigen.

Und was wurde eigentlich aus der Kongresspartei, einer der ältesten Parteien der Welt, entscheidend bei der Staatsgründung Indiens? Sie wird von Priyanka Gandhi, 50, in die Wahlen in Uttar Pradesh geführt, der Tochter von Sonia und Rajiv Gandhi und Enkelin von Indira Gandhi. Priyanka Gandhi spricht Probleme an, die sonst in Indiens Öffentlichkeit wenig diskutiert werden: Polizeiliche Gewalt und sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Sie besuchte im Wahlkampf die Familien von Vergewaltigungsopfern. Es ist ein wichtiges Thema in Indien, aber auch ein bedrückendes, das womöglich wenig Wählerinnen rekrutiert.

Die BJP macht derweil den aufwändigsten Wahlkampf, vor allem in den ländlichen Regionen in West-Uttar-Pradesh, wo Bauern den größten Anteil an der Bevölkerung stellen. Die BJP hat die besten Ressourcen, sowohl finanziell wie auch was die Personalstärke betrifft. Ihre Wahlkampfhelfer gehen in den kleinen Gemeinden von Tür zu Tür, sprechen mit den Dorfvorstehern, keine andere Partei betreibt einen vergleichbaren Aufwand. Sie wird vermutlich gewinnen in Uttar Pradesh und in den anderen Bundesstaaten, wenn auch mit weniger Stimmen als 2017. Und die Bauern um Rakesh Tikait? Die haben nach ihrem Sieg in Delhi immer noch keine Entscheidung getroffen, wen sie unterstützen wollen. Nur eines scheint sicher: die BJP wird es nicht sein.

Zur SZ-Startseite
A couple poses during a pre-wedding photo shoot near India's Presidential Palace which is shrouded in smog, in New Delhi

Luftverschmutzung
:Dicke Luft in Delhi

Home-Office und geschlossene Schulen - nicht wegen der Pandemie, sondern wegen Smog. Warum Indiens Hauptstadt so sehr unter starker Luftverschmutzung leidet.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: