Liebe Leserin, lieber Leser,
ein herzlicher Gruß zum Sonntag erreicht Sie auch in dieser Woche wieder etwas früher als gewohnt mit dem elektronischen Hirtenbrief, der diesmal nicht aus dem Pfarrbüro, sondern vom Schiff im Atlantik kommt, denn ich bin derzeit wieder mal auf einem TV-bekannten Kreuzfahrtschiff als Bordseelsorger unterwegs. Und weil ich am Donnerstag absehbar kein Internet haben werde, schicke ich Ihnen den Hirtenbrief eben schon am Mittwoch.
Das Bild, das ich Ihnen mitschicke, ist kein „normales“ Kreuzfahrtfoto. Aber mit diesem Foto verbinde ich die Erinnerung an einen ganz wunderbaren Gottesdienst, den ich mit der Crew des Schiffes am Sonntagabend spät nach deren Dienstschluss im sonst unzugänglichen Bauch des Schiffes gefeiert habe. Die meisten von ihnen sind Philippinos, und wie man an manchen Uniformen sieht, arbeiten sie im Service, in der Küche oder im Housekeeping. Sie sind für viele Monate auf See im Dienst, und das Tag für Tag. Abends spät verbringen Sie noch eine Stunde zur Erholung in Crew-Bar oder in der Crew-Messe zwischen Edelstahlmöbeln, Plastikstühlen und Neonlicht. Dort ist auch das Bild oben am vergangenen Sonntagabend entstanden. Sie haben den sterilen Raum mit wenigen Handgriffen zu einer Kirche gemacht, haben ein paar Heiligenbilder mit Klebestreifen aufgehängt und einen Altar gebaut. Die Musik kam vom Handy, und alle haben innig mitgesungen. Persönliche Fürbitten haben sie gestaltet und vorgetragen, in denen sie ganz besonders für ihre Familien gebetet haben, die zu Hause auf den Philippinen darauf warten, dass sie bald wiederkommen.
Es ist schwer zu beschreiben - aber es war einer von diesen Gottesdiensten, an die ich mich gerne zurückerinnere, weil sie so innerlich berührend waren. Während oben die Kreuzfahrtwelt doch eher bemüht ist, Fassaden zu bauen, Showtime zu geben und heile Welt, ist unten im Schiffsbauch einfach nur "das normale Leben". Und offensichtlich ist es mit den einfachen Dingen des täglichen Gebrauchs zufrieden – das Leben.
Was mich persönlich berührt hat, war das aufrichtige gemeinsame Beten und Singen, das nach einem harten Arbeitssonntag den sterilen Speiseraum der Crew erfüllte und ihn so zum Festsaal machte, in dem Christus selbst zum Gastgeber wurde. Fast wie in Emmaus: „Bleib doch bei uns, es ist Abend geworden und der Tag hat sich geneigt…“
Wenn wir am kommenden Sonntag das Christkönigsfest feiern, den letzten Sonntag eines Kirchenjahres, das ja am folgenden ersten Adventssonntag wieder neu beginnt, dann werden wir im Evangelium das Wort Jesu hören: „Mein (König-)Reich ist nicht von dieser Welt“.
Ich will das gerne glauben – und auch hoffen. Das Reich des himmlischen Königs macht sich nicht fest an Fassaden und Statussymbolen unserer Gesellschaft. Es ist aber auch keine Scheinwelt, wie die durchorganisierte Maschinerie einer Kreuzfahrt, deren oberstes Prinzip natürlich das Wohlgefallen der Gäste ist.
Das Reich Gottes ist da, wo Menschen sich im Herzen berühren lassen vom Zuspruch und Angebot Gottes, wo sie eine unbedingte geschenkte Liebe im Leben spüren können, die nicht behalten, sondern weiterverschenkt werden will.
Sollte das nun die Quintessenz eines ganzen Jahres sein, in dem wir Gottes Wort gehört und bedacht haben, in dem wir Feste und Anlässe gefeiert haben? Steht diese Einsicht tatsächlich am Ende eines Kirchenjahres?
Ja, so ist es wohl: Sein Reich ist nicht Teil dieser Welt, in der nur zählt, wer was hat und kann. Christus König ist auch kein Monarch auf Distanz, der über allem thront.
Er ist vielmehr mittendrin im einfachen Leben, und er läßt sich erfahren, ist spürbar für jeden, der sich auf ihn hin ausrichtet.
Ich hab’s erlebt am Sonntagabend in der Küche des Kreuzfahrtschiffes. Es brauchte nicht viel dafür. Nur ein weites Herz, die Freude am Glauben und den tiefen Wunsch, IHN auch nach einem langen Arbeitstag zu bitten: „Herr Jesus, bleib bei uns, denn der Tag hat sich geneigt“.
Am Ende des Kirchenjahres 2020/2021 mag uns diese Bitte aus dem Herzen und über die Lippen kommen. "Herr, bleibe bei uns..." Unsere Zeit braucht nach wie vor Menschen, die es sagen, beten und glauben. Ganz egal ob in Andernach oder auf den sieben Weltmeeren.
Herzliche Grüße von dort
sendet
Ihr Pastor Stefan Dumont