Zum Inhalt springen

Mögliche Morde im Staatsauftrag Belarusse steht in der Schweiz vor Gericht

Juri Garawski will am Verschwinden von hochrangigen Oppositionellen in Belarus beteiligt gewesen sein. Eine Verurteilung vor einem Schweizer Gericht würde das Regime Lukaschenko erstmals in Verbindung mit Mord bringen.
Juri Garawski kommt am Gericht in St. Gallen an

Juri Garawski kommt am Gericht in St. Gallen an

Foto:

Gian Ehrenzeller / EPA

In der Schweiz steht ein Mann nach dem Weltrechtsprinzip vor Gericht, der 1999 in Belarus an dem Verschwinden und der mutmaßlichen Ermordung von drei Oppositionellen beteiligt gewesen soll. Den Auftrag dafür hat Juri Garawski nach eigenen Angaben vom belarussischen Staat bekommen. Verhandelt wird der Fall, weil der 45-Jährige sich selbst belastet hat – im Rahmen seines Asylantrags in der Schweiz. Bei einer Verurteilung würde damit erstmals indirekt vor einem Gericht festgehalten, dass das Regime in Belarus Oppositionelle verschwinden lässt. Der Überblick.

Darum geht es

1999 verschwanden drei prominente Regimekritiker im heutigen Belarus spurlos. 20 Jahre später berichtete der Asylbewerber Juri Garawski erst Schweizer Beamten und später ausgewählten Medien, dass die drei Vermissten tot seien und er das wisse, weil er an ihrer Ermordung beteiligt gewesen sei. Als Wehrpflichtiger in einer Minsker Militäreinheit sei er für die belarussische Spezialeinheit Sobr rekrutiert worden, deren offizielles Ziel es ist, Kriminalität zu bekämpfen. Nach Garawskis Angaben entführte die Sobr-Gruppe am 7. Mai 1999 unter Führung ihres Gründers Dmitri Pawlitschenko den ehemaligen Innenminister Juri Sacharenko. Pawlitschenko soll Sacharenko dann auf einem Truppenübungsplatz erschossen haben.

Im September desselben Jahres entführte die Einheit nach den Worten Garawskis den früheren Leiter der zentralen Wahlkommission, Viktor Gontschar, sowie Anatolo Krassowski, einen Unterstützer der Opposition. Beide seien in einem Wald exekutiert und verscharrt worden. Wieder soll Pawlitschenko das Kommando gehabt und die Männer erschossen haben. Für die drei Morde will Garawski insgesamt 1500 Dollar erhalten haben.

Wer Pawlitschenko die Befehle gegeben habe, wisse Garawski nicht. Das sagte er zumindest 2019 gegenüber der Deutschen Welle . Er denke aber, dass Lukaschenko davon gewusst habe. Beim Auftakt der Verhandlung soll Garawski allerdings laut der Nachrichtenagentur dpa wiederholt geäußert haben, dass Lukaschenko die Morde in Auftrag gegeben habe. Bis zum Jahr 2003 soll Garawski der Einheit angehört haben.

Deshalb hat dieser Fall eine so große Bedeutung

Ein Schuldspruch wäre das erste Urteil, mit dem gerichtlich festgehalten würde, dass die autoritäre Regierung von Lukaschenko, die Oppositionelle ins Gefängnis wirft, für ihren Machterhalt auch morden lässt. Denn Garawski kann nur bestraft werden, wenn feststeht, dass er im Auftrag einer politischen Stelle gehandelt hat.

Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass das Regime von Machthaber Lukaschenko für das Verschwinden der Oppositionellen verantwortlich ist. »Der Prozess ist ein starkes Signal für die Menschen in Belarus und anderen Ländern, dass solche Gräueltaten nicht ungesühnt bleiben«, sagte der Jurist Benoit Meystre von der Genfer Organisation Trial International im Vorfeld der Verhandlung. Trial International hatte den Fall zusammen mit dem belarussischen Menschenrechtszentrum Viasna vor Gericht gebracht.

Das Weltrechtsprinzip

»Es ist das erste Mal, dass solche Verbrechen in Belarus im Zentrum eines Prozesses stehen«, sagte Trial-Jurist Meystre der dpa. Dass das in einem Schweizer Kanton möglich ist, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip. Demnach ist das nationale Strafrecht auch auf bestimmte schwere Straftaten anwendbar, die nicht auf dem eigenen Staatsgebiet oder durch oder gegen die eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger begangen wurden. In diesem Fall geht es um das Verschwindenlassen, im Völkerrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sanktioniert.

Was droht Garawski bei einer Verurteilung?

Garawski steht in der Schweiz vor Gericht, weil das Land im Jahr 2015 dem internationalen Übereinkommen über den Schutz vor Verschwindenlassen beigetreten ist. Dessen Ziel ist es, dass Täter überall auf der Welt unabhängig vom Tatort zur Rechenschaft gezogen werden können. Für das Verschwindenlassen können bis zu 20 Jahre Haft verhängt werden. Garawski drohen laut Behörden allerdings nur drei Jahre Haft, von denen aber nur ein Jahr vollzogen werden soll.

Pavel Sapelko, Mitglied im Exekutivausschuss der belarussischen Menschenrechtsorganisation Viasna, Anja Härtwig und Philip Grant von Trial International vor dem Kantonsgericht St. Gallen

Pavel Sapelko, Mitglied im Exekutivausschuss der belarussischen Menschenrechtsorganisation Viasna, Anja Härtwig und Philip Grant von Trial International vor dem Kantonsgericht St. Gallen

Foto:

Christiane Oelrich / dpa

Warum stellt sich Garawski dem Gericht?

Garawski ist 2018 in die Schweiz geflohen, um dort Asyl zu erhalten. Wenig später erzählte er erstmals seine Geschichte. Auch den Behörden nannte er Namen, Orte, Abläufe. Details, die nur Beteiligte wissen können. Einzig: Beweise gebe es dafür keine, wie die »Neue Zürcher Zeitung« schreibt , die sich unter anderem auf Untersuchungsberichte und die Anklageschrift bezieht.

Das Gericht muss nun darüber befinden, ob Garawski seine Rolle womöglich aufgebauscht hat, um Asyl zu erhalten. Der Richter sagte, Garawski habe sich über die Behandlung und seine Unterkunft in der Schweiz beschwert. Er kritisierte dessen »Anspruchshaltung«. Garawskis Asylantrag wurde abgelehnt. Er wird aber geduldet, weil ihm bei einer Abschiebung in der Heimat Festnahme und Tod drohen.

Vor Gericht verstrickte Garawski sich bei seiner Aussage in Widersprüche. »Ich habe nicht getötet, nur festgenommen«, sagt er nach den Worten der Übersetzerin. »Warum soll ich Verantwortung tragen?« Am Ende der Beweisaufnahme entschuldigte er sich. Er bereue seine Rolle zutiefst, hieß es in einer vorbereiteten Erklärung. Er sei aber nur ein kleines Rädchen gewesen, habe später erkannt, wie verwerflich die Taten waren, und habe es als seine moralische Pflicht angesehen, nicht länger zu schweigen.

Gab es ähnliche Vorwürfe in Belarus?

Die brutalen Methoden des Minsker Regimes werden von Oppositionellen und Menschenrechtsorganisationen seit vielen Jahren angeprangert. Im Fall der drei Regimekritiker war 2004 ein Sonderermittler des Europarats zu dem Schluss gekommen, dass das belarussische Innenministerium hinter dem Verschwinden stecke. Was genau geschehen ist, hat aber auch diese Untersuchung nicht aufklären können.

svs/sak/dpa