Liebe Leserin, lieber Leser,
was für eine gute Erfindung ist doch die Fernbedienung für den Fernsehzuschauer...
Da kann man vom Sessel aus mit einem Klick das Programm wechseln, oder es sogar komplett ausschalten. Sowas wünschte ich mir im Moment öfter mal für unsere täglich erlebte Wirklichkeit, und ich vermute, mit diesem Wunsch nicht alleine zu sein. Wie klasse wär' das, wenn wir die vielen Hiobsbotschaften unserer Zeit einfach weg drücken könnten. Vom Ukraine-Krieg, über die Energiekrise und die damit verbundenen Kostenexplosionen. Die kleinen privaten und die großen gesellschaftlichen Nöte. Und für uns als Christenmenschen wäre es eine Erlösung, wenn wir auf Knopfdruck den ganzen Kirchenärger abstellen könnten und einfach wieder nur ganz normal kirchlich sein könnten, wie das früher so gang und gäbe war.
Stattdessen erleben wir gerade Abbruch und Umbruch in konzentrierter Form. Mehr, als uns lieb ist. Und schneller, als wir es vertragen und realisieren können.
Dass die Zeiten sich wandeln werden, dass die Kirchengestalt sich auch vor Ort verändert - dass hat man uns ja schon vor Jahrzehnten vorausgesagt. Wir haben es irgendwie auch immer erwartet, und wir haben versucht, uns drauf einzustellen.
Aber derzeit kommt man sich bei Kirchens vor wie in einem Thermomix, in dem alles, was wir kennen und was uns lieb und Heimat ist, zugleich gehäckselt, geknetet, verdampft und gekocht wird. Die Zutatenliste des "Frustkuchens", der dabei rauskommt, beginnt ganz "oben" in der Kirchenleitung, setzt sich fort im unseligen Gegeneinander von Bewahrern und Ermöglichern innerhalb unserer Bischöfe, erreicht dann die Organisationszwänge eines Bistums und seiner Verwaltung, in der die Pfarrgemeinden nicht mehr als Orte des genuin kirchlichen Lebens wahrgenommen werden, sondern als Kostenstellen.
Damit nicht genug, wird das Ganze vor Ort belegt durch das, was die Menschen an Abbruch, Umbruch und Veränderung erleben. Die folgenden zwei Meldungen in diesem Hirtenbrief sind da nur ein Beispiel dieser Tage. Wenn sich einst starke Gruppierungen (wie z.B. ein Kirchenchor) auflösen müssen, weil sie selber nicht mehr in der Lage sind, "Gruppe" zu sein, oder wenn der Abbruchbagger an einem kirchlichen Gebäude zu arbeiten anfängt, so wie wir das im letzten Jahr in Namedy erlebt haben, oder jetzt am St.Peter-Kirchturm, dann läßt uns das nicht unberührt. Auch die Menschen nicht, die eigentlich schon ihre Geschichte mit Kirche abgeschlossen hatten.
Darüber hinaus gibt es täglich noch weitere große und kleine Indizien, an denen man die Dramatik dieser Umbruchszeit in der Kirche festmachen kann. Die hohe Zahl der Austritte, oder die (im Verhältnis zur Zeit vor Corona) immer noch oft dezimierte Zahl der Gottesdienstbesucher, die ja letztlich in einem großen Kirchenraum kein wirkliches Gefühl einer Gebets- und Gottesdienstgemeinschaft befördert.
Wie geht man damit um?
Wie geht man damit um, als "normaler" Mensch, der (oder die) sich zu einer Kirchengemeinde zugehörig fühlt?
Wie geht man damit um, im Freundeskreis befragt oder bedauert zu werden, dass man immer noch nicht den Austritt aus der Kirche vollzogen hat und weiterhin zögert, weil Kirche einfach auch "Heimat" bedeutet ?
Ja, am liebsten würde ich auch einfach mal den roten Knopf auf der Fernbedienung drücken und das ganze laufende Programm ausschalten, in der Hoffnung, dass es morgen vielleicht besser ist. Aber leider geht das so nicht. Das Programm läuft weiter, Tag für Tag - und wir sind entweder passiver Zuschauer oder selber aktiver Teil des Programms.
Es mag im Moment nicht wirklich trösten, aber ich schaue in der Kirche, zu der ich gehöre, auf eine lange Erfahrung mit Umbrüchen, Abbrüchen und den dann folgenden Neuanfängen zurück. Wie oft schon haben Menschen in der Geschichte gedacht: "Das hier geht jetzt zu Ende". Und immer wieder war mit einem Verlust auch ein ganz anderer neuer Anfang verbunden. Sowohl in der großen Kirchengeschichte, als auch im Gemeindeleben vor Ort. Und da will ich jetzt gerne noch hinschauen...
Ein Chor, eine Frauengemeinschaft, eine Jugendgruppe: Sie sind alle immer davon abhängig, dass Menschen da sind, sie mit Leben erfüllen und eine Aufgabe haben. Niemals nur Selbstzweck. Sie werden gegründet, weil Menschen mit gleichen Interessen sich verbinden, um im Raum der Kirche ihrem Glauben eine Gestalt zu geben, um Talente einzusetzen und um gemeinschaftlich das Leben (v.a. in der Freizeit) zu gestalten. Sie lösen sich aber dann irgendwann auch wieder auf, wenn Menschen, Interessen und Aufgabe nicht mehr im passenden Verhältnis stehen. So ging das immer - und gerade jetzt erleben wir eine Zeit, in der sich Um- und Abbrüche häufen. Vielleicht haben wir überall in den Gemeinden auch deshalb an Ausstrahlung verloren, weil sich bestimmte Aufgaben anders stellen, weil Talente nicht mehr ausreichend gefördert werden oder weil sich Gemeinschaftsleben woanders hin verlagert hat. Vielleicht auch, weil wir in der Kirche vor lauter Eigenbeschäftigung gar nicht mehr dazu kommen, die Lebensgestaltung aus dem Glauben heraus als "Alternative" zum gängigen Leben anzubieten.
Vielleicht teilen Sie den einen oder anderen Gedanken dessen, was Sie da gerade gelesen haben. In der Analyse ganz bestimmt. Vielleicht auch im Angebot, die Dinge zu sehen, wie sie nunmal sind und die deshalb nicht besser werden, wenn man sich einfach ausklinkt. Vielleicht auch in der Einschätzung, dass Formen des Engagements in der Gemeinde schon immer ein Auf und Ab waren, dass sie kamen, sich entwickelten, Großartiges bewegten und dann irgendwann auch wieder an Bedeutung verloren, bis dass sie aufgegeben wurden. Meist sind sie dann irgendwann wieder neu entstanden, weil andere Menschen sie vermißten und neu in anderer Form begründeten.
Was uns allerdings in der Kirche (auch am konkreten Ort) auszeichnet ist, dass wir aus der Hoffnung leben, die unser ganzes Leben wertvoll prägen kann. Sie sucht Gelegenheiten der persönlichen Stärkung und des Austausches miteinander. Solche Gelegenheiten anzubieten, das ist unser wichtigster Auftrag als Kirche. Und der kommt von ganz ganz oben - und steht deshalb über allem, was uns strukturell das Leben schonmal schwer machen kann.
Lassen Sie uns da dran bleiben - wo und bei welchen Gelegenheiten auch immer...
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Ihr Pastor
Stefan Dumont