Liebe Leserinnen und Leser,
am kommenden Wochenende wählen wir in Andernach den ersten Pfarrgemeinderat der neuen, aus bisher sieben Pfarreien zusammengeschlossenen Kirchengemeinde St.Marien. Soweit so gut. Das hat mittlerweile jede und jeder mitbekommen, der/die sich unserer Pfarrei einigermaßen verbunden fühlt. Viele haben schon von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mithilfe der Briefwahl ihre Stimme abzugeben. Am Samstag und Sonntag ist dann Gelegenheit für alle andern, das persönlich zu tun.
Macht das noch Sinn?
Ja, das macht Sinn. Gerade jetzt, in diesen Wochen. Dass Kirche sich verändert, ist im Moment doch mit Händen zu greifen. Nicht in einer fernen Zukunft, sondern jetzt ist die Zeit, in der Gestaltung notwendig ist und Menschen gebraucht werden, die gestalten.
Die wunden Punkte sind benannt. Verbrechen und Vertuschung liegen als offenes Buch auf dem Tisch, und jedes neue Gutachten, das noch erscheinen wird, belegt die systemischen Ursachen des Skandals, der die Menschen aus der Kirche treibt. Es kostet uns alle unendlich viel Kraft, die Fakten an uns ranzulassen...
Es tut sich was. Als am Montag die Bewegung "#outinChurch" an die Öffentlichkeit trat, war das für viele wie eine Befreiung. 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Bereichen der Kirche in Deutschland haben ihre Angst vor beruflichen Konsequenzen in die Waagschale geworfen und über ihre sexuelle Orientierung gesprochen, die mit der Grundordnung des katholischen Arbeitsrechtes nicht übereinstimmt. Bisher gab es da in der Kirche eigentlich keine Ausnahmen: Wer nicht passte, musste gehen, je nachdem in welcher Position man beschäftigt war.
"#outinchurch" hat dieses Fass nun so weit aufgemacht, dass die Institution Kirche gar nicht anders kann, als sich ernsthaft zu überlegen, damit umzugehen. Das Statement des Aachener Bischofs Helmut Dieser am Schluß der Fernsehdokumentation gibt Hoffnung: "Ich habe dazugelernt, ja, das kann ich ganz freimütig sagen". Schön, dass dann auf einmal so viele Bischöfe sein Statement teilen und sich gegen eine Angstkultur in der Kirche aussprechen. Man fragt sich nur, warum das vorher nicht möglich war...
Und jetzt wählen wir einen Pfarrgemeinderat. Das mag auf den ersten Blick nicht annähernd so spektakulär und weltbewegend sein, wie die Ereignisse auf der großen Kirchenbühne. Doch diese Wahl kann zeigen, dass wir hier in Andernach nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern dass wir teilhaben wollen am Umbruch in der Kirche und ihn hier am Ort mit unseren Menschen und ihren Themen, mit unseren Mitteln und Ressourcen, mit Kreativität und Ideen gestalten wollen.
Die Kandidatinnen und Kandidaten, die sich dafür zur Wahl stellen, sind dazu bereit. Jetzt brauchen sie aber auch den nötigen Rückenwind aus den Gemeinden der großen Pfarrei. Diesen Rückenwind können Sie zusammen mit allen Andernacher wahlberechtigten Menschen zum Wehen bringen, indem Sie wählen gehen und ihre Stimme abgeben. In einigen Gemeinden ist das eine Formsache, weil dort gerade soviel Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt sind, wie es braucht, damit der betreffende Pfarrbezirk im neuen Rat vertreten ist. In anderen Bezirken der Pfarrei wird es richtig spannend, weil sich auf zwei zu vergebende Mandate bis zu fünf Leute bewerben. Also, eine echte Wahl, vor allem auch deshalb, weil alle an allen Orten die Kandidatinnen und Kandidaten aller Pfarrbezirke wählen können.
Als christlicher Optimist will ich der kirchlichen Gesamtsituation derzeit Positives abgewinnen. Kirche lernt - durch den Druck von außen - Wirklichkeiten zu sehen und zu reagieren. Konfrontiert mit der systemischen Mißachtung der Menschen, die sich in ihr beruflich oder privat engagieren und dabei Opfer von Mißbrauch oder Diskriminierung wurden, muß und wird sie sich verändern. Die Zäsur hat historische Ausmaße, aber sie ist nicht die erste, die Kirche prägt und gestaltet. Weil ihr Maßstab nicht das Goodwill der Institution ist, sondern das Wort und der Plan Gottes, wird sie den Weg gehen, der sie weiter durch die Zeit führt. Diese Hoffnung will ich gerne nähren und - wenn Sie mögen - mit Ihnen allen teilen, denn - um mit den Worten des Petrus zu sprechen, als Jesus ihn fragt, ob er und die anderen auch gehen wollen - "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens." (Joh 6,68).
Also, am Samstag & Sonntag:
Jetzt erst recht! Hingehen, mitmachen, wählen!
Herzliche Grüße,
Ihr Pastor
Stefan Dumont