05.04.2022

Sam­mel­ab­schie­bung nach Ido­me­ni in Grie­chen­land 2016 war laut EGMR legal 

Nach der Abrie­ge­lung der euro­päi­schen Gren­zen im Jahr 2016 stran­de­ten tau­sen­de Geflüch­te­te in infor­mel­len Flücht­lings­la­gern in Grie­chen­land. Im März brach eine Grup­pe von mehr als 1.500 Geflüch­te­ten von Ido­me­ni nach Nord­ma­ze­do­ni­en auf, um Sicher­heit zu fin­den. Weni­ge Kilo­me­ter hin­ter der Gren­ze wur­den sie abge­fan­gen, ein­ge­kes­selt, auf Lie­fer­wa­gen ver­la­den, zum Grenz­zaun gefah­ren und von bewaff­ne­ten Beam­ten durch Löcher im Zaun nach Grie­chen­land zurückgezwungen.

Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) hat heu­te ent­schie­den: Die­ser Mas­sen-Push­back ver­stößt nicht gegen die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK). Die acht Beschwerdeführer*innen in dem Fall „A.A. und ande­re gegen Nord­ma­ze­do­ni­en“, unter­stützt vom Euro­pean Cen­ter for Con­sti­tu­tio­nal and Human Rights (ECCHR) und PRO ASYL, prü­fen nun Rechts­mit­tel einzulegen.

„Der Gerichts­hof igno­riert die dama­li­gen tat­säch­li­chen Ver­hält­nis­se an der Gren­ze eben­so wie die Tat­sa­che, dass es mona­te­lang gänz­lich unmög­lich war, irgend­wo in Nord­ma­ze­do­ni­en Asyl zu bean­tra­gen“, kom­men­tiert Hanaa Haki­ki, Seni­or Legal Advi­sor beim ECCHR. „Die Schluss­fol­ge­rung, dass eine der­ar­ti­ge Mas­sen­aus­wei­sung men­schen­rechts­kon­form ist, höhlt den Men­schen­rechts­schutz an der Gren­ze wei­ter aus.“

Die Beschwerdeführer*innen, eine Grup­pe von syri­schen, ira­ki­schen und afgha­ni­schen Geflüch­te­ten, unter ihnen eine vier­köp­fi­ge Fami­lie und ein Roll­stuhl­fah­rer, mach­ten gel­tend, dass die maze­do­ni­schen Beam­ten und Sol­da­ten vor Ort die men­schen­ver­ach­ten­den Umstän­de, vor denen sie aus Grie­chen­land geflo­hen waren, igno­rier­ten hat­ten. Ihnen war auch kei­ne Mög­lich­keit ein­ge­räumt wor­den, die Zurück­schie­bung recht­lich über­prü­fen zu las­sen. Sie muss­ten in das infor­mel­le Flücht­lings­la­ger von Ido­me­ni zurück­keh­ren, obwohl dort zur dama­li­gen Zeit weit über 10.000 Men­schen ohne staat­li­che Unter­stüt­zung unter erbärm­li­chen huma­ni­tä­ren Bedin­gun­gen aus­harr­ten. Die EMRK ver­bie­tet Kol­lek­tiv­aus­wei­sun­gen von Indi­vi­du­en ohne die Bewer­tung der Umstän­de jedes Ein­zel­falls (Art. 4 4. Zusatzprotokoll).

„Für die acht Kläger*innen und die wei­te­ren 1.500 namen­lo­sen Opfer der ille­ga­len und gewalt­sa­men Zurück­schie­bun­gen gibt es kei­ne Gerech­tig­keit. Die Gewalt, die Ent­wür­di­gung, die Ver­wei­ge­rung von indi­vi­du­el­len Rech­ten blei­ben unge­sühnt. Ein bit­te­rer Tag für Schutz­su­chen­de und den Schutz der Men­schen­rech­te in Euro­pa“, fügt Karl Kopp Lei­ter der Euro­pa-Abtei­lung von PRO ASYL, hinzu.

Am 7. März 2016 hat­te der Euro­päi­sche Rat das Ende des sog. Huma­ni­tä­ren Kor­ri­dors auf dem Bal­kan ver­kün­det. In unmit­tel­ba­rer Umset­zung die­ses Beschlus­ses regis­trier­te Nord­ma­ze­do­ni­en aus­weis­lich eige­ner Anga­ben zwi­schen dem 8. März und dem 21. Sep­tem­ber 2016 kei­ne Asyl­an­trä­ge von Schutz­su­chen­den mehr – weder im Lan­des­in­ne­ren, noch an den Grenz­über­gän­gen. Die­ses Datum mar­kier­te zugleich den Beginn für die sys­te­ma­ti­schen Aus­wei­tung von Push­back-Prak­ti­ken in ganz Euro­pa und die Blo­cka­de des Zugangs zu Recht und Schutz für Geflüch­te­te. Für das Jahr 2021 hat die Mace­do­ni­an Young Lawy­ers Asso­cia­ti­on (MYLA) allein für die nord­ma­ze­do­nisch-grie­chi­sche Gren­ze über 16.000 irre­gu­lä­re Zurück­schie­bun­gen doku­men­tiert.

Lesen Sie hier die Zusam­men­fas­sung der Ent­schei­dung des Gerichts und hier das voll­stän­di­ge Urteil - und erfah­ren Sie mehr über die Beschwerdeführer*innen auf der Web­site vom ECCHR.

Heu­te um 18.00 Uhr (MEZ) dis­ku­tie­ren Hanaa Haki­ki vom ECCHR, Zoran Dran­gov­ski, Pro­gramm­ko­or­di­na­tor der Mace­do­ni­an Young Lawyer’s Asso­cia­ti­on und Mar­ta Gor­c­zyns­ka, Men­schen­rechts­an­wäl­tin an der pol­ni­schen Gren­ze, das Urteil und sei­ne Auswirkungen.

Die Teil­nah­me an der Ver­an­stal­tung ist über Zoom  oder bei Face­book live mög­lich.

Für Inter­view­an­fra­gen mit Hanaa Haki­ki vom ECCHR kon­tak­tie­ren Sie bit­te Abby d’Ar­cy unter: darcy@ecchr.eu

Für Inter­view­an­fra­gen mit Karl Kopp von PRO ASYL kon­tak­tie­ren Sie bit­te die Pres­se­ab­tei­lung von PRO ASYL unter presse@proasyl.de; Tel.: 069–24231430

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