Oberlandesgericht Koblenz:Lebenslange Haft für Syrer im Staatsfolter-Prozess

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Die Syrerin Wafa Mustafa sitzt mit Bildern von Opfern des syrischen Regimes vor dem Gericht in Koblenz (Archivbild). (Foto: THOMAS LOHNES/AFP)

In einem Gefängnis des syrischen Geheimdienstes soll Anwar R. für die Folter Tausender Menschen und für 27 Morde verantwortlich gewesen sein. Nun verurteilt ihn ein deutsches Gericht in einem weltweit einmaligen Verfahren.

Im weltweit ersten Strafprozess zur syrischen Staatsfolter hat das Oberlandesgericht Koblenz den Hauptangeklagten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit 27-fachem Mord und weiteren Vergehen wie Vergewaltigung und Freiheitsberaubung zu lebenslanger Haft verurteilt. Zuvor war bereits ein Mitangeklagter verurteilt worden.

Die Bundesanwaltschaft hatte dem 58-jährigen Anwar R. vorgeworfen, er sei in der Anfangsphase des syrischen Bürgerkriegs 2011 und 2012 in einem Gefängnis des Allgemeinen Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt Damaskus als Vernehmungschef für die Folter von mindestens 4000 Menschen verantwortlich gewesen sein. Mindestens 30 Gefangene seien ums Leben gekommen.

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Die Verteidigung, die im Prozess einen Freispruch gefordert hatte, will nun beim Bundesgerichtshof in Revision gehen. Der Angeklagte bezeichnete sich als unschuldig. Er habe nicht gefoltert und auch keinen einzigen Befehl dazu erteilt. Im Gegenteil, er habe auch Freilassungen gefangener Demonstranten des Arabischen Frühlings veranlasst. Insgeheim habe er mit der syrischen Opposition sympathisiert und sie nach der Flucht aus seiner Heimat unterstützt, einmal sogar als Teil eines Verhandlungsteams der Assad-Gegner bei der zweiten Syrien-Friedenskonferenz in Genf.

Anwar R. soll in einem syrischen Gefängnis für die Folter Tausender Menschen verantwortlich gewesen sein. (Foto: THOMAS LOHNES/AFP)

Mit mehr als 80 Zeugen sowie einer Reihe von Folteropfern als Nebenkläger hatte das Verfahren international Aufsehen erregt. Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es, auch hierzulande mögliche Kriegsverbrechen von Ausländern in anderen Staaten zu verfolgen.

R. war 2014 auf Vermittlung seiner Oppositionskontakte mit einem humanitären Visum nach Deutschland gekommen und lebte in Berlin. Als R. 2017 selbst einmal als Zeuge aussagte, schilderte er seine frühere Rolle in Syrien. Die Beamten, die ihn bis dahin nicht im Visier hatten, gaben seine Angaben ans Bundeskriminalamt weiter, das zu ermitteln begann. 2019 nahm ihn die Polizei fest.

Der frühere Mitangeklagte Eyad A. wurde bereits vom Oberlandesgericht Koblenz zu viereinhalb Jahren Haft wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Über seine Revision ist noch nicht entschieden worden. Er hatte nach Überzeugung der Richter 2011 in Syrien dazu beigetragen, 30 Demonstranten ins Foltergefängnis des Hauptangeklagten zu bringen.

Menschenrechtler begrüßen das Urteil

Der Prozess ist ein Durchbruch, sind sich Menschenrechtsorganisationen einig. "Das Urteil ist ein bedeutsamer Moment für Zivilisten, die Folter und sexuellen Missbrauch in syrischen Gefängnissen überlebt haben", teilte die Organisation Human Rights Watch mit.

Der Generalsekretär von Amnesty in Deutschland, Markus Beeko, sprach von einem "historischen Signal im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit". Die Organisation erwarte weitere Prozesse in Deutschland und anderen Ländern. Die syrische Regierung begehe weiterhin schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit. "Auch im Jahr 2021 wurden Zehntausende Menschen Opfer systematischer Folter, außergerichtlicher Hinrichtungen, willkürlicher Festnahmen und gewaltsamen Verschwindenlassens durch syrische 'Sicherheitskräfte'", so Beeko.

Das Verfahren um Staatsfolter in Syrien könnte weitreichende Folgen haben. "Wir hoffen, dass der Koblenzer Prozess einen Dominoeffekt auslöst", erklärte der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR), Wolfgang Kaleck. Er soll einen Impuls für die Verfolgung der Verbrechen des Regimes von Staatschef Baschar al-Assad geben.

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