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Prügel und Entlassungen

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Das Podium im Frankfurter Haus am Dom: Susanne Uhl (NGG), Enrico Somgalia (EFFAT), Valerie Top (CCEP France) und Johan Botella (CCEP Deutschland).
Das Podium im Frankfurter Haus am Dom: Susanne Uhl (NGG), Enrico Somgalia (EFFAT), Valerie Top (Coca-Cola Europacific Partners France) und Johan Botella (Coca-Cola Europacific Partners Deutschland). © Rolf Oeser

Aktivistinnen und Aktivisten berichten bei einer Diskussion in Frankfurt über die Verletzung von Menschenrechten bei Coca-Cola und weltweiten Partnerfirmen. Die Gewerkschaftsleute fordern mehr internationale Solidarität für ihren Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Manchmal scheint das Publikum den Atem anzuhalten, so still ist es im Saal. Gebannt hören die Menschen die Berichte von Gewerkschaftern, die in Südostasien um die Rechte von Beschäftigten des Weltkonzerns Coca-Cola kämpfen. In Bangladesch wird der Gewerkschaftsvorsitzende von einem Schlägertrupp aus einem Bus geholt und verprügelt. In Indonesien entlässt das Unternehmen unabhängige Gewerkschafter, auf den Philippinen nimmt die Polizei Streikposten fest und wirft sie ins Gefängnis.

Drei Stunden lang bilanzieren Aktivist:innen im Haus am Dom in Frankfurt am Main den „Fall Coca-Cola“ unter dem Titel „Zero Rights? Menschenrechtsverletzungen und transnationale Unternehmen“. Am Ende ist klar, so Susanne Uhl, Leiterin des Hauptstadtbüros der Gewerkschaft NGG: Es werden „grundlegende Menschenrechte nicht eingehalten“.

Lange haben der DGB, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die Rosa-Luxemburg-Gesellschaft die ungewöhnliche Konferenz vorbereitet. Der Soziologe Klaus Dörre von der Universität Jena nimmt Zusammenkünfte wie diese als „Zeichen der Hoffnung, dass der Funke des Internationalismus noch immer vorhanden ist, an dem sich große Bewegungen für eine Demokratisierung der Arbeitswelt entzünden können.“

Coca-Cola: Recht auf Tarifvertrag bestritten

Dörre bilanziert die Macht internationaler Konzerne. Nur 147 von ihnen kontrollierten 40 Prozent der globalen Unternehmensnetzwerke. Coca-Cola ergreife die Chance, Extraprofite zu generieren, „indem sie ungestraft Menschenrechte verletzen (…) und Gewerkschafter einschüchtern“. Häufig schmälere die Konkurrenz unter Gewerkschaften deren Durchsetzungsfähigkeit. Gegen die Macht von Konzernen wie Coca-Cola fordert der Wissenschaftler einen „neuen Internationalismus“, dessen Mitglieder sich einig sein müssten.

Während sich die Gewerkschafter aus Südostasien per Videokonferenz zuschalten, berichten Betriebsräte aus Europa auf dem Podium über die Lage in ihren Coca-Cola-Filialen. Die Französin Valerie Top, Mitglied im europäischen Betriebsrat, beklagt eine sehr hohe Arbeitsbelastung, viele Fälle von Burnout und immer mehr Leiharbeit. Enrico Somaglia vom europäischen Gewerkschaftsverband EFFAT verweist auf den langen Kampf im wichtigen Werk im irischen Ballina, wo der Cola-Sirup für ganz Europa entsteht. Dort habe der Konzern das Recht auf einen Tarifvertrag bestritten.

Johan Botella, Chef des Gesamtbetriebsrates in Deutschland, fordert, dass der „Atlanta-Prozess“ wieder aufgenommen wird. 2019 hatte Coca-Cola, nachdem es mit Morden an Aktivist:innen in Kolumbien in Verbindung gebracht worden war, regelmäßig Gewerkschafter:innen zu Gesprächen in die Konzern-Zentrale in Atlanta (USA) eingeladen. „Damals standen sie mit dem Rücken zur Wand.“ Doch diese Praxis wurde abgebrochen, nachdem aufseiten des Konzerns ein wichtiger Manager in Ruhestand gegangen war.

SOZIALE KONFLIKTE

Die Diskussion über Coca Cola und Menschenrechte war Teil einer Debattenreihe zu aktuellen Konflikten in der Arbeitswelt, zu der DGB, Verdi, IG Metall und die Katholische Akademie Rabanus Maurus gemeinsam einladen.

In der Reihe geht es am Freitag, 24. Juni, von 19 Uhr an im Frankfurter Haus am Dom um rechtes völkisches Denken in der Arbeitswelt. Zu Gast sind dann der Soziologe Klaus Dörre und NGG-Chef Guido Zeitler. Moderation: Claus-Jürgen Göpfert. Mehr Infos: hausamdom-frankfurt.de

Von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO erwartet Ansaar Khaliq von der internationalen IUF-Gewerkschaft nur wenig Hilfe gegen die Missstände. 2018 hätten die Aktivisten dort eine Beschwerde eingereicht. Aber der ILO-Ausschuss treffe sich nur ein- bis zweimal im Jahr: „Seine Möglichkeiten sind sehr begrenzt.“ Jeffrey Boyd von der IUF in Genf schlägt vor, das Milliarden-Kapital aus den gewerkschaftlichen Rentenfonds zu nutzen, um große Weltkonzerne wie Coca-Cola „in die Zange zu nehmen“. Dafür gibt es Beifall.

Coca-Cola: „Mehr Druck auf die Reputation“ des Konzerns

Die Gewerkschafter aus Südostasien, die Leib und Leben riskieren, senden eindrückliche Appelle nach Frankfurt. „Wir brauchen mehr Unterstützung und Solidarität von der internationalen Ebene, mehr Druck auf die Reputation von Coca-Cola“, sagt Dwy Harioto aus Indonesien unter Applaus. Und auch Fred Maranon von den Philippinen verlangt „Netzwerke, die unseren Kampf unterstützen“.

Tobias Schwab, Leiter der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Rundschau, hält als Moderator diesen bewegenden Abend zusammen und weitet immer wieder den Blick. So wirft er die Frage nach einem Weltbetriebsrat für Coca-Cola auf. Und erfährt eine eher zurückhaltende Reaktion. „Das wäre ein sehr dickes Brett“, antwortet Johan Botella, der auch Chef des europäischen Betriebsrats ist.

Es fällt auf, dass die Vertreter aus Deutschland sehr auf das neue Lieferkettengesetz setzen, das in Deutschland am 1. Januar 2023 in Kraft treten soll. Es soll den Schutz von Menschenrechten und auch der Umwelt gerade bei global agierenden Konzernen verbessern. Es gebe dann die Möglichkeit, Unternehmen dafür haftbar zu machen, dass Arbeitsbedingungen nicht eingehalten werden, urteilt Michael Rudolph, der DGB-Vorsitzende von Hessen-Thüringen. Und auch Susanne Uhl vom NGG-Hauptstadtbüro lobt: „Ein gutes Gesetz“.

Die Aktivist:innen in Südostasien organisieren dagegen handfeste Aktionen. Fred Maranon von den Philippinen berichtet stolz, dass er mit anderen an einer vielbefahrenen Autobahn ein riesiges Plakat aufgehängt habe. Es fordert die Wiedereinstellung von Gewerkschaftern, die Coca-Cola entlassen hatte. Großer Beifall im Saal.

Im Publikum findet gerade der Gedanke der internationalen Solidarität große Unterstützung. Der 73-jährige NGG-Aktivist Jürgen Hinzer erinnert an die Zeit des Suharto-Regimes in Indonesien in den 1960er Jahren. Damals seien dort „Tausende von Gewerkschaftern ermordet“ worden, bei den Gewerkschaften in Deutschland aber habe „Ruhe“ geherrscht. Eine solche Situation könne sich heute nicht mehr wiederholen.

Freddy Adjan, Vize-Chef der NGG, ordnet in seinem Schlusswort den Abend ernüchternd ein: „Wir hätten die gleiche Veranstaltung auch über Nestlé und Unilever machen können.“

Zugeschaltet: Stimmen aus Indonesien und den Philippinen.
Zugeschaltet: Stimmen aus Indonesien und den Philippinen. © Rolf Oeser

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