Mit ihrem besonderen Schutz des Präsidenten vor Kritik verstößt die Türkei nach Auffassung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Straßburger Gericht bemängelte insbesondere den Artikel 299 des türkischen Strafgesetzbuchs, der die Beleidigung des Präsidenten unter Strafe stellt. Im konkreten Fall gaben die Richter einem Kläger Recht, der wegen satirischer und kritischer Facebook-Beiträge über Staatschef Recep Tayyip Erdoğan verurteilt worden war.

Der EGMR forderte die Türkei auf, das umstrittene Gesetz zu ändern, und sprach dem Mann Schadensersatz zu. Er hatte auf Facebook eine Karikatur und ein Foto Erdoğans mit satirischen und kritischen Kommentaren veröffentlicht. Ein Beitrag zeigte eine Fotomontage des mit einem Kleid bekleideten türkischen Präsidenten, der den damaligen US-Präsidenten Barack Obama küsst.

Der Mann kam zwei Monate lang in Untersuchungshaft. Die 2017 verhängte Haftstrafe zu elf Monaten und 20 Tagen wurde jedoch ausgesetzt.

EGMR: Verurteilung mit abschreckender Wirkung

Der EGMR urteilte, dass die Verurteilung des Mannes eine "abschreckende Wirkung" auf andere Menschen habe, die Kritik äußern wollten. Die verhängte Strafe verletze das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung. Das türkische Gesetz verstoße überdies gegen den Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Ankara 1954 ratifiziert hat.

"Das Interesse eines Staates, den Ruf seines Staatsoberhauptes zu schützen, kann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, dem Staatsoberhaupt einen privilegierten Status oder einen besonderen Schutz einzuräumen in Bezug auf das Recht, Informationen und Meinungen über ihn zu verbreiten", befand der EGMR.

Dem Kläger sprach der Gerichtshof eine Entschädigung von 7.500 Euro zu. Der Fall kann auf Beschwerde hin noch an die Große Kammer verwiesen werden.