Liebe Leserin, lieber Leser,
ein herzliches "Grüß Gott" Ihnen allen zum neuen elektronischen Hirtenbrief, der Sie (zumeist) im Vorfeld des ersten Oktobersonntags erreicht. Das ist der Tag, der jedes Jahr im Kalender als Erntedankfest verzeichnet ist. Das ist eine liebe Gewohnheit, und wir beleben sie Jahr für Jahr mit dem ortsüblichen Brauchtum. Je nach Ort ganz unterschiedlich. In Eich ist das Fest immer wieder vom besonderen Schmuck der Kirche geprägt, von der Freiwilligen Feuerwehr, die die große Erntekrone vor den Altar trägt und von der Vielzahl an Feld- und Gartenfrüchten. Der Chor singt, und gemeinsam bringt man den Dank für die Ernte des zu Ende gegangenen Sommers zum Ausdruck. (--> am kommenden Sonntag um 9:30 Uhr | Kirche Maria Geburt, Eich). So wird deutlich, dass wir eigentlich immer wieder Grund zur Dankbarkeit dem Himmel gegenüber haben, denn nichts von dem, was wir kaufen, besorgen oder selber ernten, ist wirklich selbstverständlich.
Die beiden vorangegangenen Corona-Jahre haben ja eigentlich für einen richtigen Aufschwung im Bereich des sogenannten "urban Gardening" geführt. Viele Menschen haben sogar auf kleinstem Raum angefangen, Gemüse und Obst anzubauen. In der "essbaren Stadt" Andernach gehört sich das ja auch so. In Hochbeeten, Kübeln und Betonkästen grünt und blüht es - und mit ein bisschen Glück und gutem Zureden belohnen die Pflanzen die Sorge ihrer Besitzer mit Früchten: Tomaten, Paprika, Zucchini und sogar 2 Melonen habe ich dieses Jahr zum ersten Mal im Pfarrhausgarten geerntet. Allerdings ist dieser Ernte eine Menge Aufwand an Gießen vorausgegangen. Kannenweise haben die Pflanzen im Kübel das Wasser gebraucht...
Wasser. Selten haben wir schonmal so sehr Mangel an Wasser erlebt, wie in diesem Jahr. Mit der "Trockenlegung des Rheins" ging das frühzeitige Vertrocknen von Wiesen und Weiden einher, Getreide und Mais haben auf den Feldern das Wachstum eingestellt - weil das Wasser fehlte.
Wie sehr eins vom anderen abhängt, wie sehr wir in Natur und Wirtschaft vernetzt und globalisiert sind, und wie anfällig dieses ganze System aus Geben und Nehmen ist, zeigen die letzten Monate, seit der Krieg in der Ukraine längst nicht mehr nur eine militärische Auseinandersetzung vor Ort ist, sondern ein weltweit spürbarer Brandherd, der die gewohnte Versorgung der Menschen massiv stört und durcheinanderbringt.
Man kann nur staunen, wie weit die Moskauer Regierung mit ihrer unseligen Agitation die ganze Welt durcheinanderbringen kann. In Kombination mit den spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, mit der Hitze, den Unwettern und dem bei uns in diesem Jahr so spürbaren Wassermangel wächst da eine echte Herausforderung für die Weltgemeinschaft heran. Da wird echte Solidarität und guter Zusammenhalt gefragt sein. Ein uraltes Dilemma sucht uns da heim, denn solche und ähnliche "Plagen" hat es in der langen Geschichte der Menschheit immer und vielfältig gegeben. Meistens hatten sie damit zu tun, dass einer sich über andere erhoben hat, weil er damit für sich und die Seinen einen Vorteil verbinden konnte. Rücksichtslos.
Wenn wir am kommenden Sonntag für die Ernte danken, die wir trotz aller Widrigkeiten in diesem Jahr einbringen konnten, dann sollten wir nicht bloß die symbolische Weinflasche, den dekorativen Strohballen und den Kohlrabi im Blick haben. Das wäre einfach zu wenig.
Wir ernten in allen Bereichen, was von uns und unseren Vorfahren gesät wurde - oftmals wirklich in bester Absicht. Aber wir merken, dass nicht alles, was wächst, gut ist. Auch dafür kennt die Bibel Bilder und Gleichnisse (z.B. das Gleichnis vom Unkraut auf den Feldern, Mt 13). "Erntedank" in unserer Zeit bedeutet für mich auch, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen, meinen eigenen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung und des Friedens zu definieren und - auch mit Gottes Hilfe - hoffnungsvoll die Zukunft in den Blick zu nehmen. Vielleicht können ja die kommenden Generationen doch sagen, dass wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts begonnen haben, die Welt zum Guten zu verändern, weil wir gemerkt haben, dass sie wiedermal aus den Fugen geht. Das wäre doch ein Anliegen, dass auch am Erntedank-Sonntag 2022 einen Platz haben könnte...
meint
Ihr Pastor Stefan Dumont