Liebe Leserin, lieber Leser,
einen herzlichen Gruß zum Sonntag sende ich Ihnen wiedermal gerne heute schon - am Donnerstag. Diesmal mit einem Bild, das ich in der vergangenen Woche in der Zeitung "Christ in der Gegenwart " entdeckt habe. Es zeigt eine Ikone des polnischen Künstlers Borys Fiodorowicz. Ikonen sind in der Tradition der Ostkirchen mehr als nur gemalte Heiligenbilder. Sie sind insofern auch "GottesOrte" und Gelegenheiten der Begegnung mit den Heiligen, die sie abbilden. Sie zeigen meistens heilige Gestalten oder Szenen aus der Heilsgeschichte auf einem goldenen Hintergrund. Das bedeutet im Verständnis der Ostkirche, dass sich dem Betrachter beim Anschauen der Ikone der Himmel öffnet und man einen sich mit der dargestellten Szene verbindet, dass man hineingenommen wird in den Segen oder das in Heilsgeschehen.
Nun ist die oben dargestellte Ikone keine gewöhnliche, wie man sie kennt. Ikonen müssen nicht antik sein. Es gibt sie - wie man sieht - auch "aktuell". Sie zeigt Maria und Jesus auf der Flucht. Statt der bekannten Darstellung mit dem Esel, den Josef meistens an einer Leine hinter sich herzieht, ist hier ein LKW der Fluchtwagen.
"Jesus war ein Flüchtlingskind, laut biblischer Überlieferung musste seine Familie vor einem gewalttätigen Herrscher ins rettende Ägypten fliehen.
Aktuell sind mehr als zwei Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht vor dem russischen Angriffskrieg, aber auch zahlreiche andere Flüchtlinge versuchen regelmäßig, ins sichere Europa zu gelangen. Mit seinem aufrüttelnden ikonenhaften Bild „300 Meilen zum Himmel“ spannt nun Borys Fiodorowicz den Bogen von der Kindheit Jesu in die Gegenwart und erinnert uns gerade jetzt wieder daran, dass wir als Christinnen und Christen die Geflüchteten immer mit offenen Armen und helfenden Händen empfangen sollten – wissend, dass Jesus besonders bei den Bedürftigen und Schutzlosen zu suchen und zu finden ist. Die, die zu uns kommen, wollen wir gerne aufnehmen und helfen, so gut wir es können." (Johanna Beck, CIG 11/22)
Weiter unten lesen Sie in diesem elektronischen Hirtenbrief, wie das bei uns in Andernach jetzt im Organisationsbereich der Kirchengemeinde möglich ist. Darüber hinaus sind auch viele andere private und öffentliche Initiativen dabei, Hilfe zu organisieren. Allen sei dafür herzlich gedankt.
Die Ikone oben läßt mich aber den Blick auch mal auf die Rolle des Christentums im Osten werfen. Auf die orthodoxen Kirchen in Rußland und in der Ukraine. Ganz ehrlich: Das mutet ziemlich durcheinander an. Die Orthodoxie scheint noch vielfältiger zu sein, als die Pluralität von katholischen und reformierten Kirchen bei uns. Wer sich da mal wirklich mit einem einzigen Artikel informieren und einlesen möchte, findet auf der Webseite von katholisch.de den Beitrag des Eichstätter Professors Thomas Kremer, der einen guten Aufriß dessen gibt, wie Rußland und die Ukraine aus der Geschichte der Ostkirche heraus zueinander stehen, und welche Interessen für Putin nun kriegsrelevant und kriegstreibend sind. Der Autor nutzt großzügig den theologischen Sprachschatz - aber der Informationsgehalt des Artikels ist wirklich umfangreich.
Tragisch ist nun, dass das Moskauer Kirchenoberhaupt dem Krieg nichts entgegensetzt. Noch nicht mal ein Wort... Viele gläubige Russen sind über den Schmusekurs des Moskauer Patriarchen Kyrill mit dem Kreml-Chef und seinem Eroberungskrieg entsetzt und wenden sich ab. "Die Haltung des Patriarchen Kyrill markiert einen moralischen Tiefpunkt in der Geschichte der Christenheit", schreibt Kremer. Ganze Gemeinden der russisch-Orthodoxen Kirche distanzieren sich von ihrem Oberhaupt und zeigen Solidarität mit der ukrainischen Kirche.
Was gerade in der Ukraine und in Rußland geschieht, wird auch auf dem Sektor der Religion historische Veränderungen mit sich bringen. Und wir leben mittendrin in diesem Umbruch von Welt, Gesellschaft und Religion. Da kann uns schon ganz schön schwindlig werden... Wer soll das alles überblicken? Wer bietet da noch Orientierung und Halt?
Ich glaube, dass auch diese Ohnmacht Menschen unserer Tage vermehrt dazu animiert, die Frage nach Gott zu stellen, die Frage nach dem, was nicht in der Verfügung des Menschen liegt und nach dem, der vielleicht helfen kann, der zumindest eine "Hoffnung" bietet. Viele Menschen drücken ihre Unsicherheit und ihr "Suchen nach Halt" einfach in einem Kerzchen aus, das sie in der Kirche aufstellen. Sie verbinden es mit einem Wunsch oder einem guten Gedanken - oder einer echten Bitte an Gott.
Wenn Sie das auch machen möchten, können Sie das täglich im Mariendom tun. Hier ist von 9-18 Uhr die Türe offen. Beim Ungarn-Kreuz vorne haben Sie Gelegenheit, Ihre Bitten auf einen Zettel zu schreiben und abzulegen. Die Gemeinde nimmt sie an jedem Donnerstagabend mit in ihr Gebet.
Damit schließt sich für heute der Kreis von Gedanken zum Wochenende, die mit dem Blick auf die Ikone der flüchtenden Maria mit dem Jesuskind begonnen haben.
Das ist Gottes Stärke: dass es kein Leid der Welt gibt, das er nicht selber am eigenen Leib schon erlebt hat - bis hin zum gewaltsamen Tod. Egal, was passiert - sein Platz ist bei den Leidenden. Mitten unter ihnen.
Nicht obendrüber als der, der das Elend abstellen könnte, sondern mittendrin, als der, der tröstet, stärkt und Kraft gibt zum Weitergehen. All denen, die unter dem Krieg leiden. Und allen, die mit-leiden, auch von zu Hause aus.
Der Blick auf die Bilder des Krieges läßt nichts anderes zu,
meint Ihr Pastor
Stefan Dumont
und wünscht Ihnen dennoch ein gutes Wochenende, an dem es bestimmt auch viel Schönes zu entdecken gibt...