Liebe Leserin, lieber Leser,
nun also soll das Wetter umschlagen, der Herbst löst den Sommer ab. Das Laub beginnt, sich zu verfärben, Blätter werden fallen. Das hat in der Lyrik und Literatur immer wieder Leute zu besonderen Gedanken inspiriert. Wieviele Lieder und Gedichte haben das herbstliche Blätterfallen zum Inhalt und beschreiben damit bildreich die Vergänglichkeit des Geschaffenen, der Natur und des Menschen. Jedes Jahr aufs Neue.
Das Bild oben ist mir dieser Tage im Netz begegnet. Thomas Kleine hat es fotografiert. Es ist auch so ein typisches Herbstbild, aber zugleich auch wieder ganz anders. "Gehaltene Vergänglichkeit" drückt es für mich aus. Das Blatt, das sich vom Baum gelöst hat, das im Fallen begriffen war, um auf dem Boden der Vergänglichkeit mit der Erde eins zu werden - dieses Blatt ist in ein ganz zartes, kaum sichtbares Netz gefallen - und so dem Fotografen vor die Linse gekommen.
Ich finde, es ist ein Hoffnungsbild und reiht sich ein in die hoffnungsvollen Gleichniserzählungen der Bibel, die uns derzeit Sonntag für Sonntag im Gottesdienst begegnen. Auch wenn Jesus sich in seinen Gleichnissen mehr mit Weizen, Unkraut und Weinbergen beschäftigt, weil das in die Lebenswirklichkeit der Menschen damals in Israel besser passte, kann das Bild oben vom gefallenen und gehaltenen Blatt mit einstimmen in die Zusage Gottes: Auch wenn du fällst: wisse, du bist nicht verloren. Das Gefühl, zu fallen, muss ja nicht erst das Letzte sein, was uns geschieht.
Wir kennen dieses Gefühl auch aus dem Leben: Krankheit, Schicksalsschläge, Enttäuschungen. Situationen, die uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Zweifel und Unsicherheit. Das kann mich persönlich betreffen, meine Familie, meinen Freundeskreis. Es kann die Aussichtslosigkeit in gesellschaftlichen Entwicklungen sein, die Angst vor dem Verlust des Vertrauten und der Heimat. Das Unverständnis über das, was in Politik oder Kirche vonstatten geht...
Die Zusage Gottes steht: Fürchte dich nicht vor dem Fallen. Du kannst nicht tiefer fallen, als das Gottes Hand dich da nicht auch noch hält.
In der Fülle der Herbstgedichte gibt es eines von R.M. Rilke, das in der letzten Zeile genau diese Zusage ins Wort bringt - wie ein Untertitel für das Bild vom Blatt im zarten Netz der Spinne:
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Ist es naiv, sowas zu glauben? Ist es falsch, darauf zu hoffen?
Anders herum:
Es tut gut, darauf zu vertrauen. Manchmal auch wider alle Vernunft und Erfahrung.
Es tut gut, darauf vertrauen zu können, dass mir selbst im größten Fehler, in der daraus auch resultierenden Schuld, im Moment des Fallens, EINER mit Liebe begegnet, einfach so, weil ich es bin. So ist Gott.
Je länger ich mir dieses Bild da oben ansehe, je mehr mag ich es.
Es ist ein "Gott-Vertrauen-Bild", das mir noch ein paar Zeilen von Silja Walter ins Gedächtnis ruft:
...ist hinter allen dingen
die scheinbar nicht gelingen
doch EINER, der mich liebt!
Voll Hoffnung, dass auch unsere Zeit, in der wir gerade leben, eine von Gott "gehaltene" Zeit ist - auch wenn manches "fällt" - grüßt Sie herzlich zum Wochenende
Ihr Pastor
Stefan Dumont