"... so help me god!"
Liebe Leserin, lieber Leser,
ein herzlicher Gruß zum Sonntag erreicht Sie heute wieder mit dem elektronischen Hirtenbrief aus dem Andernacher Pfarrbüro - in der Hoffnung, dass Sie alle wohlauf sind.
Was war das für ein Tag, gestern, am Mittwoch. Der ganze Abend war voll von Berichterstattung aus Amerika. So ein Präsidentenwechsel ist selbst als "light-Version" in Zeiten von Corona eine ansehnliche Sache. Und - das ist mir noch nie so aufgefallen, wie gestern - eine wirklich religiöse Angelegenheit dazu. Da ist die große Familienbibel aus dem Hause Biden nur ein Indiz für, und der Spruch am Ende der Vereidigung "so help me god" ist nur die Krönung einer Zeremonie, in der Gott und Glauben eine wichtige Rolle spielt. Das hat natürlich alles seine Gründe und Geschichte, aber ich finde es dennoch bemerkenswert, dass der Gottesbezug, und der immer wieder erbetene Beistand Gottes für alles, was so ein Präsident zu tun und zu entscheiden hat, so in den Vordergrund gerückt wird. Und das in einer Zeit, deren Gesellschaft sich mehr und mehr von Gott emanzipiert.
Obwohl der christliche Glaube unseren europäischen Kontinent über Jahrhunderte geprägt hat, gebietet es die moderne Etikette bei uns, alles Religiöse in den Privatbereich zu verlegen. Wir sprechen dann lieber von "Werten", das klingt neutraler. Aber haben die ihre Wurzeln nicht doch letztlich auch in der christlichen Lebenshaltung, die auf Gottes Gebote und die Verkündigung Jesu zurückgeht?
Kirche hat diese Werte im Lauf der Zeit definiert, gesetzt und der Gesellschaft förmlich eingepflanzt. Dass sie selber diesen Werten in vielerlei Hinsicht - auch bis zum heutigen Tag - nicht gerecht wird, mag sicher einer der Gründe sein, warum bei uns das Religiöse aus der Öffentlichkeit verschwindet. Und weil wir uns gar nicht mehr herausgefordert sehen, über Gott zu reden, verlieren wir mehr und mehr die religiöse Sprachfähigkeit.
Das scheint in Amerika anders zu sein. Da gehört der Gottesbezug zum allgemeinen Sprachgebrauch dazu. Zugegeben, das kann auch manchmal hohl und übertrieben wirken, aber: Gott ist eine feste Größe in der Gesellschaft, allerdings (so mein Eindruck) ohne an eine Kirche oder Konfession gebunden zu sein. Ihn immer wieder in Erinnerung zu rufen, sich auf ihn zu beziehen und das eigene Tun öffentlich auch unter seinen Schutz zu stellen, zeugt von einer inneren Haltung, die den Menschen nicht zum Maß der Dinge macht, sondern sich immer bewußt ist, für das eigene Handeln vor einer höheren Instanz einstehen zu müssen.
Das war gestern bei der Vereidigung des Präsidenten auch so spürbar. Das Gebet vor dem Amtseid, die sichtbare Anteilnahme daran bei den Politikern wie auch bei den Soldaten und Sicherheitskräften - das war schon bewegend. Scheinbar schaffen es die Amerikaner, Gott als eigene Größe zu erkennen, die nicht gleichzusetzen ist mit einer Kirche. Vielmehr steht Gott über jeder Kirche. Vielleicht ist er deswegen die allgemein anerkannte finale Instanz im Land der unbegrenzten Möglichkeiten...
Das ist bei uns eben anders. Wenn wir von Gott sprechen, dann baut sich in Gedanken immer eine "Erfahrung mit Kirche" auf. Und je nachdem, welche Erinnerungen da geweckt werden, kann das verbindend oder distanzierend wirken. So kommt es wahrscheinlich, dass die zunehmende Entkirchlichung der Menschen bei uns auch die wachsende Entfremdung von Gott bedingt...
Und trotzdem: ich finde es gut, dass wir Gott nicht so leichtfertig auf den Lippen tragen, wie die Menschen in Amerika. Denn da ist die Gefahr groß, dass Gott zur hohlen Phrase wird. Dennoch beeindruckt mich die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich und ihr Land in Beziehung zum Himmel setzen.
Wichtiger aber als das "Reden über" ist das "Sprechen mit Gott". Es kann so vielfältig sein, weit mehr als vorformulierte Sätze. Gebet kommt aus dem Herzen und muss nicht viele Worte machen. Es geht auch leise und still, aber es braucht den Moment der Ausrichtung auf Gott hin. Es braucht den Adressaten. Wer betet, muss irgendwo das Signal setzen: "Du, Gott, ich meine Dich". Das kann man alleine machen. Zu Hause, oder auch im Wald. In Gemeinschaft ist es manchmal einfacher - und hier kommt "Kirche" ins Spiel. Als Gemeinschaft Glaubender, Suchender und betender Menschen.
Genau das wollen wir jetzt auch sein, in dieser schwierigen Zeit, die uns manchmal dem Zweifel und dem Frust näher sein läßt, als der Hoffnung und der Sicherheit.
Das Schöne ist, dass wir selbst auf Distanz Kirche sind und miteinander beten können, ohne uns an einem Ort versammeln zu müssen. Allein das Wissen um die Gemeinschaft, kann schon gut tun.
Ich schreibe das, weil wir uns natürlich auch Gedanken machen, wie wir mit unseren Gottesdiensten umgehen, während der Lockdown immer mehr Abstand gebietet. Anders als im letzten Frühjahr können wir immer noch miteinander Gottesdienst feiern. Dafür bin ich sehr dankbar, dennoch will ich deutlich appellieren: Überlegen Sie genau, ob Sie kommen möchten! Vielleicht reicht es ja auch mal für eine gewisse Zeit, sich sonntagsmorgens über das Internet oder den Offenen Kanal (Montagabend 20:00 Uhr) mit unserer Gottesdienstgemeinde in Andernach zu verbinden.
Wir werden das Gottesdienst-Angebot im Moment mal nicht reduzieren, weil das eine Konzentration von Gottesdienstbesuchern auf einen oder zwei Orte mit sich bringen würde. Und das wäre ja auch nicht gut.
Sollten seitens der Landesregierung oder seitens des Bistums andere Vorgaben kommen, werden wir die selbstverständlich einhalten.
"Wer glaubt und wer betet, der ist nicht allein."
Ich glaube, dass das stimmt. Zu wissen, dass eine kleine Gruppe in der vertrauten Kirche jetzt Gottesdienst feiert, und in Gedanken mit einzustimmen in das Gebet um Hoffnung und Heilung, das könnte jetzt im Moment unsere Form sein, Gott die Ehre zu geben und miteinander Kirche zu sein, indem wir füreinander beten
meint Ihr Pastor
Stefan Dumont