Liebe Leserinnen und Leser,
einen herzlichen Gruß zum kommenden Sonntag sende ich Ihnen wieder mit diesem elektronischen Hirtenbrief aus dem Pfarrbüro.
Kennen Sie das Gefühl, dass man sich morgens beim Aufstehen wünscht, dass der Tag schnell vorüber geht? Der innere Wunsch, dass es bald wieder Abend werden mag, damit die unangenehmen Dinge, die man für diesen Tag schon vorausahnt, möglichst schnell vorbei sind... Irgendwie ist heute wieder so ein Tag, denn innerkirchlich bringt er wieder jede Menge Wallung mit sich. In München wird heute ein Gutachten zum Mißbrauchsskandal vorgestellt, und weil jede Menge Kirchenprominenz mit dem Vorwurf der Vertuschung konfrontiert ist, wird das wieder eine große Sache.
Gut, dass es die Aufarbeitung endlich gibt. Gut, dass die Opfer durch den öffentlichen Druck endlich ein Forum haben. Gut, wenn die Institution Kirche merkt, dass im System dringend ein Update erfolgen muss. Gut ist schließlich auch, wenn öffentlich nachgehakt wird, damit gute Vorsätze nicht versanden, sondern umgesetzt werden.
Und doch... Für "Kirche" ist es wiedermal ein Tag, an dem viele Leute durch die folgende Berichterstattung bestärkt werden, weiter auf Distanz zu gehen.
Umgekehrt betrachtet, werden viele Engagierte, die immer noch dabei sind, weil ihnen Kirche auch eine innere Heimat ist, die mehr abbildet, als die bloße Institution, in Frage gestellt werden: "Wie kannst Du da noch mitmachen?"
Bischof Bätzing hat die Situation der hohen Kirchenaustrittszahlen Ende letzten Jahres treffend beschrieben mit der Feststellung: "Die Menschen exkommunizieren die Kirche aus ihrem Leben".
Was wir da im Moment erleben, ist der lange befürchtete, seit Jahren vorhergesagte Umbruch in der Kirchenlandschaft, der sich bedingt durch die schleppende Aufarbeitung der Skandale und die Veränderungen der Corona-Pandemie jetzt um ein vielfaches rasanter vollzieht, als die Prognosen das vor ein paar Jahren noch vorausgesagt haben. Auch die Trierer Bistumssynode hat diese Entwicklungen so nicht absehen können. Das muss man wohl einfach mal so feststellen.
Genauso aber auch die Einsicht, dass die vielfach verantwortlich gemachte Glaubenskrise der Gesellschaft um so mehr mit dem Unvermögen der Kirche zu tun hat, den Menschen in dieser Zeit "das Frohe" an der Botschaft Gottes nachhaltig erfahrbar zu machen. Die offizielle Kirche ist selber religiös sprachlos geworden und vermag nicht mehr, den Mehrwert des Glaubens im Leben der Menschen heute allgemein zu beschreiben. Was das "Lehramt" lehrt, findet keine Resonanz.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir hier in unseren Gemeinden zu einigen Gelegenheiten im Laufe eines Jahres, oder zu bestimmten Anlässen im Leben der Menschen, diese wirklich mit Gottes Zuspruch erreichen, und dass der Raum für das Erfahren Gottes vor Ort und im eigenen Leben durchaus da ist. Aber wenn dann so ein Tag wie der heutige schon schwarze Schatten für die gesamte Kirche vorauswirft, dann relativiert sich bei vielen Leuten auch die vereinzelt gute Erfahrung und am Ende steht wieder Ernüchterung.
Was tun? Die Entwicklung "ausblenden"? Augen zu und durch? Aussichtslose Trostpflaster und Durchhalteparolen? Das kann's alles nicht sein...
Ich will glauben, dass dieser Umbruch nun "umbrechen" muss. Keiner weiß, wie lange das dauert und wie schmerzvoll das alles wird. Es "bricht" ja auch Vertrautes auseinander. Auch wenn alle nach Reformen rufen: Sie bringen eben auch den Verlust vertrauter Strukturen, heimatgebender Zusammenhänge und identitätsstiftender Gegebenheiten mit sich. Sie sind eben Teil der Reformnotwendigkeit in der Kirche.
Ich will aber auch glauben, dass der Grund des Glaubens und der Kirche bleibt: Gott selbst, der sich als Mensch in diese Welt hineingestellt hat, um sie von Grund auf selbst zu erleben, ihre Menschen kennenzulernen und am eigenen Leib zu erfahren, wie sie "drauf" ist, die Welt.
Ich will weiter glauben, dass er für alle, die leiden, scheitern und nach dem Sinn des Lebens suchen, "mehr" zu bieten hat, als einfachen Trost.
Ich will glauben, dass in seiner grundlegenden Vor-Liebe für diese brüchige Welt eine berechtigte Hoffnung auf Heilung des Unheilen liegt. Und für uns Christen ein tiefer Sinn in der gefühlten Sinnlosigkeit der momentanen Situation der Kirche ganz allgemein.
Ich will weiter glauben, dass Gott diese Welt und ihre Menschen - und auch seine Kirche in Andernach nicht hängen läßt. Dass wir uns das gegenseitig selber immer wieder zuzusagen, dass wir uns des Glaubens und Vertrauens gegenseitig vergewissern - dazu brauchen wir einander. Deshalb sind wir "Kirche" - im besten Sinne des Wortes.
Vielleicht haben Sie sich gefragt, ob das Bild vom Polarlicht oben etwas mit all dem zu tun hat, was ich jetzt aufgeschrieben habe: Sicher! Hat es...
Vor Jahren hatte ich das Glück, bei einer Schiffsreise jenseits des Polarkreises im Winter dieses Polarlicht zusehen. Es war Nacht. Eiskalt. Viele Passagiere standen auf Deck und starrten in den schwarzen Himmel, in Erwartung und voller Hoffnung, dass das Naturschauspiel sich zeigt. Garantieren kann man es nie. Es kommt bei ganz bestimmten Voraussetzungen, die man nicht vorhersagen kann, schon gar nicht garantieren. Es ist also immer ein Hoffen und Warten. Die Leute starren ins Dunkel, damit das Licht sich zeigen kann. Trotz der Dunkelheit das Licht erkennen, darum geht's bei so einer kalten Nacht am Polarkreis.
Die Erinnerung daran kam mir in den Sinn, als ich mir überlegte, was ich Ihnen heute schreibe, an diesem Tag, der für die Kirche als Organisation wieder mal ein schwarzer, dunkler Tag zu werden verspricht - egal was in dem Gutachten in München steht, das zur Stunde vorgestellt wird. Schauen wir es an. Und alles was damit zu tun hat.
Es gilt wohl wirklich, in das Dunkel zu schauen, damit das Licht sich zeigen kann...
In der Hoffnung, dass Gottes guter Geist uns hilft, gerade im Dunkel das Licht zu erhoffen, zu erwarten und zu sehen, grüßt Sie
Ihr Pastor
Stefan Dumont