OFARIN Rundbrief

14. Mai 2018

Liebe Freunde,

 

zunächst sei gebeichtet, dass wir unser Kabuler Bürogebäude renoviert haben. Zehn Jahre war es nicht gestrichen worden. Im Innern des Hauses und an den Außenwänden waren große Flächen Putz abgefallen. Unser Ingenieur Nadschib rechnete aus, dass der Aufwand deutlich unter 2.000 € bleiben wird. Das wollten wir aufwenden, um auch nach außen zu zeigen, dass wir an unsere Zukunft glauben. Über eine Woche lang lebten wir in Staub und Schutt und danach in einem elenden Farbmief. Doch es wurde schön. Alle bewunderten die Handwerker. Die arbeiteten ruhig aber zügig. Hut ab! Das sind Könner.

 

Als wir im Januar herkamen, meldete sich ein Afghane, der für das ZDF arbeitet. Ein Fernsehteam käme im Februar aus Deutschland und wolle uns aufnehmen. Herr Strumpf, der Leiter des angekündigten Teams, rief aus Deutschland an. Er käme im Februar und dann würden wir das weitere besprechen. Niemand kam.

 

Im April meldete sich der afghanische ZDF-Mitarbeiter wieder. Das Team sei damals aus Sicherheitsgründen nicht gekommen. Im Februar fand u.a. der Angriff auf das Intercontinental-Hotel statt, bei dem viele Ausländer umgebracht wurden. Aber jetzt kämen sie.

 

Sie kamen tatsächlich. Herr Strumpf interviewte Anne Marie und mich auf der Veranda unseres Bürogebäudes. Danach flog das Team mit der Bundeswehr nach Nordafghanistan. Als es zurück war, sollten Aufnahmen in einer Moschee gemacht werden. Wir wählten die Moschee von Qalatscha aus und zwar die zweite Schicht von 7:40 Uhr bis 9:10 Uhr. Die erste arbeitet von 5:45 Uhr bis 7:15 Uhr.

 

Nach Qalatscha fuhr ich in der gepanzerten ZDF-Limousine mit. Herr Strumpf fragte, warum ich das hier mache. In diesem Land klappt doch so oder so nichts. Wäre es nicht besser, man überließe die Afghanen sich selbst. Die ganze ausländische Hilfe hat doch bisher ohnehin nichts gebracht.“

 

Herr Strumpf muss so fragen, um seinen Interviewpartner zur Reaktion zu nötigen. Und er stellte Fragen, die sich viele Menschen in Deutschland und Europa ebenfalls stellen. Ich hielt dagegen, dass bei uns gerade Handwerker zügig und gekonnt arbeiteten. Auch unsere Mitarbeiter leisteten eine sehr erfolgreiche Arbeit. Unsere Art zu unterrichten sei etwas Fremdes für Afghanen, etwas von außen Hereingebrachtes. Es werde aber von den Menschen sehr gerne angenommen. Fremdes werde nicht grundsätzlich abgelehnt. Als uns das Geld ausgegangen war, hätten über 50 Lehrkräfte umsonst weitergearbeitet, damit das, was wir eingeführt hatten, nicht verloren ging. Lesen, schreiben und rechnen seien die Grundlagen für jede Entwicklung.

 

In der Moschee erwartete Herr Strumpf, wie er später erzählte, nur ein kleines Häufchen Schüler anzutreffen. Stattdessen waren beide Stockwerke der Moschee und einige Nebenräume voll. Mädchen bildeten die Mehrheit. Es waren auch erwachsene Frauen darunter. Ein Teil davon hatte sich den Mund verschleiert. Vom Fernsehen unverschleiert aufgenommen zu werden, war ihnen dann doch zuviel.  

 

Herr Strumpf interviewte Schülerinnen und Lehrerinnen zusammen mit seinem afghanischen Übersetzer und schließlich auch den Qari, OFARINs Sachwalter in Qalatscha. Herr Strumpf mutmaßte, dass Bleistifte und Hefte, die wir den Schülern geben, doch wohl hinter unserem Rücken verkauft würden. Der Qari erläuterte, wie unsere Materialverwaltung organisiert ist und dass Betrug schlecht möglich sei.

 

Anne Marie hörte Herrn Strumpf zu seinem Kameramann sagen: „Das ist das erste, was ich in Afghanistan erlebe, was funktioniert.“

 

Schließlich hatten sich das Team auf ein größeres Mädchen eingeschossen, das nie in eine staatliche Schule gegangen war, aber bei OFARIN eine gute Schülerin ist. Der Qari besuchte mit dem Team die Familie des Mädchens, und Herr Strumpf interviewte den Vater.

 

Das ganze Abenteuer wird – zusammen mit dem Interview auf der Veranda des OFARIN-Büros – auf dreieinhalb Minuten zusammengeschnitten. Das wird demnächst im ZDF-Auslandsjournal gesendet werden. Man konnte uns noch nicht sagen, wann.

 

Wahrscheinlich ist, dass sich die „Süddeutsche Zeitung“ am 19.6 meiner annehmen wird. In der SZ gibt es eine Reihe „Mein Lieblingslehrer“. Carsten Stormer hat gemeint, dass ich dort hinein gehöre und hat dafür gesorgt, dass das so sein wird. Voraussichtlich Ende Juni erscheint der ARTE-Film über uns noch einmal, diesmal bei der Deutschen Welle. Schließlich sind wir für die Frauenzeitschrift „Brigitte“ zusammen mit vielen Schülerinnen und Lehrerinnen in Qalatscha aufgenommen und interviewt worden. Diese Reportage wird ebenfalls im Sommer erscheinen. In allen Fällen werden wir versuchen, Termine bekannt zu geben, sobald sie feststehen.

 

Es stimmt, dass in Afghanistan vieles nicht funktioniert. Sehen Sie sich in OFARINs Homepage den überarbeiteten Bericht über das staatliche Schulwesen Afghanistans an! So etwas hat in Afghanistan nie funktioniert. Möglicherweise hat es unter ausländischem Einfluss Ansätze gegeben, aber solide Traditionen eines funktionierenden Schulwesens entstanden nie. Und das trifft so ziemlich auf die ganze Staatsverwaltung zu. Die weiß im Grunde nicht, wozu sie da ist.

 

Die zentralstaatlichen Strukturen, zu denen man sich unter dem König Amanullah nach 1919 entschloss, sind viel zu weit. Die Menschen haben sich darin nie zurechtgefunden. In diesem unpassenden Rahmen klappt kaum etwas.

 

Doch wenn Afghanen den Sinn ihres Tuns einsehen und erträgliche Bedingungen dafür vorfinden, arbeiten sie gerne für ein Ziel – so die Verputzer und Maler, so unsere Lehrkräfte und Trainer.

 

Wenn man länger in Afghanistan lebt, sieht man, dass sich manches ändert. In den letzten Jahren sind in sehr vielen Stadtteilen von Kabul Straßen befestigt worden – nur unsere nicht. Und plötzlich gab es eine Müllabfuhr. Privatfirmen holen zweimal in der Woche die häuslichen Abfälle ab und kassieren einmal im Monat dafür Gebühren. Koordiniert wird das von der Stadtverwaltung.

 

Haben Sie schon mal Safran aus Herat benutzt? Einen besseren gibt es nicht.

 

Ja, auch Klopapier kann das Herz erfreuen. Das kam seit den friedlichen Zeiten des vorigen Jahrhunderts aus China. China liefert seine gelungensten Produkte nicht gerade nach Afghanistan. Bei der Produktion besagten Papieres war das Aufwickeln und die Perforierung seit Jahrzehnten immer Glückssache. Schließlich erschien im Basar Klopapier aus den Emiraten – auch nicht besser als das chinesische. Seit ein paar Wochen gibt es nun Rollen von einer Qualität, wegen der sich auch EDEKA nicht schämen müsste – aus Afghanistan.

 

Es gibt noch mehr Geschichten von kleinen Fortschritten, die gegen eine alles erdrückende, korrupte Bürokratie durchgesetzt wurden. Ein wacher Kaufmannssinn, viel Einfallsreichtum und enorme Energie haben das möglich gemacht. Afghanistan ist kein hoffnungsloser Fall.

 

Den wackligen Zustand des afghanischen Staates sollte man nicht leichtfertig mit persönlichen Eigenschaften der Afghanen begründen. Sicher, die afghanische Gesellschaft ist weitgehend eine Stammesgesellschaft. Da muss sich jeder kriegerisch geben, um sich zu behaupten. Aber die Taliban oder der Islamische Staat sind, soweit sie in Afghanistan aktiv sind, Kostgänger des pakistanischen Geheimdienstes. Daher ist es naiv anzunehmen, dass man diese Akteure und die afghanische Regierung nur an einen Tisch bekommen muss, damit sie sich gefälligst einigen. Solange Pakistan nicht will, dass in Afghanistan Frieden einkehrt, wird das nicht geschehen. Pakistan sieht sich durch afghanische Gebietsansprüche bedroht und fürchtet die Einkreisung durch seinen Hauptfeind Indien, wenn der sich mit Afghanistan verbünden würde. Hier könnte ein sensibler aber energischer Eingriff der Weltmächte für eine dauerhaft friedliche Lösung sorgen. Schließlich sind weder die USA noch Russland noch China daran interessiert, dass in Afghanistan der islamistische Terrorismus blüht. Aber für eine sinnvolle Friedensinitiative sind die Weltmächte derzeit nicht gerade glücklich aufgestellt.

 

Dass ein Journalist, der jetzt von ausländischen Staaten finanzierte Projekte aufsucht, von einem Misserfolg zum nächsten reist, ist nicht anders zu erwarten. Solch‘ einem Reporter muss sich der Eindruck aufdrängen, dass in Afghanistan nichts klappt.

 

Die ausländischen Entwicklungsexperten, die jetzt in Afghanistan Projekte betreuen, unterliegen den Bedingungen der Sicherheitsindustrie. Sie sind in verbarrikadierten Festungen untergebracht, die sie selten oder nie verlassen dürfen. Kontakte zu Einheimischen sind kaum erlaubt. Alle paar Wochen werden die Insassen ausgeflogen, um einem Lagerkoller zu entgehen. Zum Flugplatz werden sie in gepanzerten Fahrzeugen befördert, die sie als Fracht kennzeichnen, auf die sich Anschläge lohnen. Ein solches Fahrzeug ist übrigens schon für eine Viertelmillion Euro zu haben.

 

Können Sie sich vorstellen, dass Projekte, die diese Experten durchführen, gelingen? Ich nicht. Immerhin schafft der Aufwand einen hohen Umsatz. Der Gewinn geht voll an die Sicherheitsindustrie.

 

Peter Schwittek.

Ofarin e.V.

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