Die Blaue Stunde ist ein physikalisches Phänomen in der Abenddämmerung. In dieser knappen Stunde nach Sonnenuntergang und vor Eintritt der Dunkelheit ist der Himmel schon tiefblau gefärbt, die Umgebung aber noch vom Restlicht erhellt. Wenn sich Tag und Nacht begegnen, können Sie beeindruckende atmosphärische Bilder machen. Doch wie kommt diese magische Färbung des Lichtes zustande? In welchem Modus sollten Sie die Blaue Stunde mit Ihrer Kamera fotografieren? Und wie können Sie den Zeitraum der Blauen Stunde für Ihren Standort berechnen, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein? Wir haben die besten Tipps für Sie zusammengestellt.
Physikalischer Hintergrund: Wie entsteht das Licht in der Blauen Stunde?
Das helle Blau des Himmels wird zur Tageszeit durch das Phänomen der sogenannten Rayleigh-Streuung verursacht. Dabei handelt sich um eine bestimmte Streuung elektromagnetischer Wellen. Hierbei werden die Strahlen des Sonnenlichts durch die Moleküle der Erdatmosphäre gestreut. Der Himmel erscheint blau. Das Blau der Abenddämmerung hat eine andere spektrale Zusammensetzung als das Himmelsblau am Tag. Es entsteht eine Wechselwirkung der Ozonschicht mit dem flachen Winkel des Sonnenlichts. In der Dämmerung nimmt die Bedeutung der Rayleigh-Streuung für die Blaufärbung ab, weil die sogenannte Chappuis-Absorption des Ozons zum Tragen kommt. Die Chappuis-Absorption absorbiert bestimmte Teile des Sonnenlichts. Die Wechselwirkung zwischen Rayleigh-Streuung und Chappuis-Absorption sorgt dann für den optischen Zauber der Blauen Stunde.
Die Blaufärbung des Himmels schien bereits im 19. Jahrhundert durch die Rayleigh-Streuung vollständig erklärt zu sein. Doch erst 1952 beschrieb der amerikanische Geophysiker Edward Hulburt die für die Blaue Stunde ausschlaggebende Wechselwirkung aus Rayleigh-Streuung und Chappuis-Absorption.
Was wir sehen ist also: Das noch vorhandene Restlicht lässt den Himmel bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang in einem tiefen Blau erstrahlen. Gleichzeitig hat diese Lichtquelle nicht mehr genügend Kraft, um andere Lichter zu überstrahlen. Es entsteht ein stärkeres, tieferes Blau im oberen Teil des Himmels und ein warmes Orange im unteren Teil.
Übrigens: Das Pendant zur Blauen Stunde bei Sonnenaufgang, beziehungsweise die Zeitspanne vor Sonnenuntergang, nennt man Goldene Stunde. Hier hat das Licht besonders viele Rot-Anteile und ist somit besonders weich und warm!
Dauert die Blaue Stunde wirklich 60 Minuten?
Das beeindruckende Naturphänomen dauert in Wirklichkeit weniger als eine Stunde. Die Blaue Stunde hat in unseren Breitengraden nach Sonnenuntergang eine Zeitspanne von dreißig bis fünfzig Minuten. Allerdings hängt die Helligkeit von der geographischen Position zum Äquator und der Streuung des Sonnenlichts ab. Diese besondere Stimmung der Dämmerung kann am Pol selbst zwei Wochen dauern!
Warum ist die Blaue Stunde für Fotografen reizvoll?
Der tiefblaue Abendhimmel und die Färbung der Lichter bilden ein perfektes Motiv für gelungene Aufnahmen. Ein entscheidender Grund dafür ist der sogenannte Komplementärkontrast, der nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Fotografie einen wesentlichen Faktor für die Bildgestaltung darstellt.
Schaut man sich die Komponenten im Farbkreis an, stellt man fest, dass sich Blau und Orange als Komplementärfarben direkt gegenüberliegen. Genau diese komplementäre Lichtfarbe erschafft in der Blauen Stunde eine unverwechselbare Stimmung. Je nach Intensität der Farben und der Lichtquellen können die Komplementärfarben als ausgewogen oder aber als grell und disharmonisch wahrgenommen werden. Ein weiterer Vorteil der Blauen Stunde ist, dass die Umgebung im Gegensatz zu Aufnahmen bei Dunkelheit noch gut zu sehen ist, da sie vom Restlich erhellt wird. Gerade für Nachtfotografie und Available Light Situationen sind daher Motive zur Blauen Stunde besonders attraktiv. Mit der richtigen Verschlusszeit können Sie zudem spannende Effekte erzielen: Bewegungen durch Menschen, Autos oder andere Lichtquellen erzeugen die bekannten Lichtspuren im Bild.
Die Blaue Stunde richtig fotografieren: 9 Tricks
Damit die Aufnahmen in der Dunkelheit gelingen, müssen Spiegelreflexkameras und Kompaktkameras mehr Licht aufnehmen als bei normalem Tageslicht. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ein bisschen Planung bei der Motivwahl und Vorbereitung ist angesagt, dafür lohnen sich die spektakulären Aufnahmen.
Tipp 1: ISO-Empfindlichkeit für die Blaue Stunde verstärken
Die richtige Belichtung ist der wichtigste Faktor während der Blauen Stunde. Wie empfindlich der Kamerasensor auf Licht reagiert, lässt sich dank der ISO-Empfindlichkeit sehr genau justieren. Viele Sensoren verursachen bei einer größeren Lichtempfindlichkeit schon ein Bildrauschen (Bildrauschen = eine Verschlechterung/Störung des Inhalts von digitalen Fotos durch Helligkeits- und Farbunterschiede). Ein niedrigerer Wert der ISO-Stufe sorgt dafür, dass ein solches Bildrauschen nicht eintritt.
Tipp 2: Auf Freihandfotografie verzichten und ein Stativ verwenden
Verzichten Sie bei Langzeitbelichtungen auf die Freihandfotografie, da das Bild sonst unscharf werden kann. Investieren Sie lieber in Ihre Ausrüstung und verwenden Sie ein Stativ. Zudem sollten Sie einen Fernauslöser verwenden. Sie können nämlich nur mit einem Fernauslöser im Bulb-Modus fotografieren. Dieser Modus eignet sich für alle Belichtungszeiten, die eine Zeitspanne von 30 Sekunden überschreiten. Wenn Sie mit einer Kompaktkamera fotografieren und keinen Fernauslöser zur Hand haben, können Sie den Selbstauslöser einstellen, um Verwacklungen zu vermeiden.
Stativ vergessen oder spontan nur mit Smartphone unterwegs? Kein Problem, platzieren Sie Ihr Gerät auf einem festen Untergrund mit einer Stütze. Ein Bohnensack, also ein kleines Kissen mit flexibler Füllung, ist auch immer eine gute Möglichkeit, eine Kamera stabil zu platzieren.
Mit der langen Belichtungszeit können Sie übrigens auch reizvolle Aufnahmen mit Zeitraffereffekt kreieren. Fotografieren Sie beispielsweise eine befahrene Straße, werden die Autoscheinwerfer zu Lichtspuren, die sich durchs Bild ziehen. Diese Lichtspuren oder auch Wischeffekte erlangt man durch das Einstellen der Verschlusszeit. Für Autos gilt zum Beispiel eine Verschlusszeit von 1/30 Sekunden.
Extra-Tipp: Die meisten Kameras haben einen automatischen Bildstabilisator. Stellen Sie den Bildstabilisator aus, wenn Sie ein Stativ verwenden.
Tipp 3: Blende während der Blauen Stunde öffnen
Je größer die Öffnung der Blende, desto mehr Licht trifft auf den Sensor Ihrer Kamera. Dabei wird die Tiefenschärfe durch eine große Blendenöffnung verringert. Achtung: Dies bedeutet, dass der Blendenwert möglichst klein ist, denn es gilt die Formel kleine Blendenzahl = große Blendenöffnung. So kommen Unschärfen im Hintergrund besser zur Geltung.
Eine kleinere Blende (große Zahl) sorgt dafür, dass das Restlicht von Schaufenstern, Autos oder Straßenlaternen sternförmig erstrahlt. Dies hat einen reizvollen Sterneffekt auf den Fotos zur Folge. Alle Blendenstufen von viel zu wenig Lichteinfall, die Ihre Kamera leisten kann, nennt man übrigens den Kontrastumfang, beziehungsweise Dynamikumfang.
Tipp 4: Im RAW-Format fotografieren
Es lohnt sich immer, im RAW-Format zu fotografieren. Dies hat folgende Vorteile: Sie können im Nachhinein einen Weißabgleich durchführen und prüfen, wie sich unterschiedliche Farbtemperaturen auf das Motiv auswirken. Mit der richtigen Farbtemperatur vermeiden Sie, dass die Aufnahme zu künstlich wirkt.
Tipp 5: Auf den Autofokus verzichten
Der Autofokus Ihrer Kamera wird wegen der schwachen Lichtquellen am Abend vermutlich ohnehin nicht funktionieren. Schalten Sie den Autofokus von vornherein ab und schieben Sie das Fokusfeld auf dem Display an jenen Bildausschnitt, an dem die Kontraste zwischen den Kunstlichtern und Schatten deutlich zu sehen sind.
Tipp 6: Das Histogramm anschauen
Schauen Sie sich beim Fotografieren das Histogramm an. Mit einer solchen Tabelle können Sie die Verteilung der Tonwerte anschauen, also das Zusammenspiel von Blende, ISO-Wert und Belichtung beurteilen. Wenn Sie in der Blauen Stunde fotografieren, zeigt ein Blick auf die Histogramm-Tabelle die ausgebrannten Stellen. Aufhellen im Nachhinein ist immer möglich, überbelichtete Stellen hingegen sind schwer zu korrigieren!
Tipp 7: Im Live View fotografieren
Das Fotografieren im Live View hat einige Vorteile: Das Histogramm wird Ihnen direkt angezeigt, zudem erkennen Sie das Motiv während der Dunkelheit besser und können auch mit ungewöhnlichen oder bodennahen Perspektiven experimentieren, ohne auf den optischen Sucher angewiesen zu sein.
Tipp 8: Spiegelvorauslösung aktivieren
Fotografieren Sie mit einer Spiegelreflexkamera? Dann aktivieren Sie in den Einstellungen die Spiegelvorauslösung (SVA). Dies bezeichnet die Funktion, den Schwingspiegel zeitlich vor der eigentlichen Aufnahme hochzuklappen. So können Sie die Eigenschwingungen Ihrer Kamera – und damit Verwacklungsunschärfen – reduzieren.
Tipp 9: Einen Ersatzakku mitnehmen
Obwohl die Blaue Stunde nur eine kurze Weile andauert, verlangen Sie Ihrer Kamera durch die langen Belichtungszeiten einiges ab. Womöglich wollen Sie auch nach der Blauen Stunde stimmungsvolle Nachtfotografien mit Langzeitbelichtungen erstellen und das Kunstlicht der Stadt festhalten – also denken Sie an einen Ersatzakku!
Noch mehr Tricks: Blaue-Stunde-Rechner für PC und Smartphone
Wann können Sie mit Ihrer Spiegelreflexkamera oder Kompaktkamera loslegen? Wie lange dauert die Veränderung des Himmels mit den unzähligen Lichtspuren und wann beginnt die Nacht?
Um zu wissen, wann es bei Ihnen so weit ist, können Sie den Zeitraum der Blauen Stunde mit einem Blaue-Stunde-Rechner genau berechnen. Wer nicht nur in Mitteleuropa die Blaue Stunde mit der Kamera festhalten möchte, kann mit einem Blaue-Stunde-Rechner weltweit den genauen Zeitrahmen zwischen Sonnenuntergang und der nächtlichen Dunkelheit bestimmen.
Je näher man sich am Äquator befindet, desto schneller wird es dunkel. Dies hat zur Folge, dass es in einem nördlichen Land wie Island während des Sommers keinen wahrnehmbaren Sonnenuntergang gibt. Als Hilfsmittel gibt es mittlerweile zahlreiche Tools und Apps, die relativ simpel die entsprechenden Zeitfenster für das Einsetzen der Dämmerung berechnen - für jeden beliebigen Ort auf der Erde.
Anhand des aktuellen Standorts ermittelt ein Dämmerungsrechner ganz einfach, wo der Sonnenuntergang stattfindet, wann es dunkel wird und wie lange die Veränderung des Himmels und der Farbnoten andauert. Damit fangen Sie die Blaue Stunde und ihre atemberaubenden Lichter ein, ganz egal ob Ihre Fototour in Berlin, Nürnberg oder Kapstadt stattfindet.
Für PC & Mac: Webseiten mit Blaue-Stunde-Rechner
Blaue-Stunde-Rechner als Android-App
Blaue-Stunde-Rechner als iPhone-App
Beim Dämmerungsrechner timeanddate können Sie sogar prüfen, wann die Venus am Himmel sichtbar ist. Stellen Sie Ihr Stativ in der Blauen Stunde auf und entdecken Sie eine tolle Alternative zu klassischen Nachtaufnahmen. Sie erhalten atemberaubende Farbnoten ganz ohne Kunstlicht!
Viel Spass beim ausprobieren.